Episode 24: Gil: Märchenende

Frankfurt, Juli 2007

„… und sie lebten zusammen glücklich bis an ihr Lebensende“, beendete Gil das Märchen. Keiki hatte sich zufrieden in ihr Kissen gekuschelt und schien bereits halb zu schlafen. Da meldeten sich ihre großen braunen Augen plötzlich zurück.

„Warum leben du und Mama nicht glücklich zusammen?“, fragte sie ihn, wieder hellwach. Es klang nicht traurig, keineswegs vorwurfsvoll, dazu war sie mit ihren vier Jahren glücklicherweise noch gar nicht fähig. Sie war einfach neugierig.

Gil seufzte tief. Wie sollte er seiner kleinen Tochter erklären, dass die Beziehungen im echten Leben keine Märchen waren? Schon gar nicht seine.

„Nun …“, begann er, immer noch völlig überfordert. Er wollte nicht in diesem zarten Alter schon ihre Träume zerschlagen. Doch sie mit einer sinnlosen Floskel abzuspeisen, war schon gar nicht seine Art. „Manchmal sind zwei Menschen sich nicht mehr einig darüber, was sie wollen. Oder das, was sie zusammen haben, macht sie nicht mehr glücklich. Und dann klappt das eben nicht so wie im Märchen.“

Keiki zog eine nachdenkliche Schnute. „War Mama nicht glücklich mit dir?“

Er schnaubte lautstark, bitterer, als er ihr offenbaren wollte. Dann strich er ihr zärtlich über die Wange. „Nein, Schatz. Es war meine Schuld. Deine Mutter hat alles versucht, was sie konnte. Aber …“ Es war nicht genug, ging der Satz weiter. Doch er schluckte ihn hinunter. Sie würde ihn nicht verstehen. Und er wollte nicht, dass sie ihn verstand. „Manche Märchen gehen eben anders aus“, erklärte er stattdessen. „Ich hab’ dich sehr lieb, meine Kleine. Du bist mein Märchenende.“

Sie lächelte ihn zufrieden an, schloss wieder ihre Augen und schlief binnen weniger Sekunden ein.

Gil klappte das Buch zu und schubste es vorsichtig hinter den Schrank. Er musste dringend neue Märchenbücher besorgen.

Mein zugehöriger Roman “Als das Gras zu wachsen aufhörte” erscheint am 8.4.22. Er wird die Fortsetzung meiner Geschichten zu Kaia und Gil sein.