Erbrochene Erinnerungen

Stephanie Wimmer

von Stephanie Wimmer

Story

Mit weit aufgerissenen Augen versuche ich, mich zu sammeln. Was ist das denn jetzt gewesen?

Ich reiße die Tür der Zugtoilette auf und stolpere verwirrt zurück zu dem Vierersitz.

Die ältere Dame wirkt ebenfalls erschrocken. Ihr Blick wandert von meinen schäbigen Sneakern über die enge Jeans und dem Sweater.

„Geht es dir gut, Liebes?“ Keuchend taste ich nach der Lehne des Sitzes am Gang, ich zittere am ganzen Körper. Liebes. Mein Mund ist staubtrocken.

Das Zwitschern der Vögel, der raue Stamm in meinem Rücken, das saftige Gras unter den Fußsohlen, das Rascheln der Buchseiten …

Die Wörter verschwimmen vor meinen Augen, mir ist schlecht. Ich unterdrücke ein Würgen.

Meine Befürchtung hat sich am Vortag bestätigt.

Ich bin schwanger.

Kotzen, das wärs jetzt wieder mal, denke ich. Einfach die ganzen scheiß Erinnerungen erbrechen und dann nie wieder daran denken. Aber so funktioniert das halt leider nicht.

Die Frau berührt mich zaghaft am Arm. Die Sorge ist ihr nun eindeutig ins Gesicht geschrieben.

Langsam komme ich wieder zu Sinnen. Ich bin im Zug auf dem Weg nach Österreich.

„Sorry“, flüstere ich, und weiß eigentlich gar nicht, wofür ich mich entschuldige.

Die Dame lächelt mich aufmunternd an.

Ich lasse mich auf meinen Sitz plumpsen und vergrabe mein Gesicht in den Händen. Die Tränen wollen sich ihren Weg nach draußen bahnen, aber ich schaffe es, sie zurückzuhalten.

Ich will mir nicht die Blöße geben, vor einer Fremden zu heulen.

Stattdessen greife ich zu der halb leeren Cola in meinem Rucksack. Die kühle, pickig süße Flüssigkeit wird mir jetzt guttun.

Das Buch der Dame liegt jetzt offen am Tisch, sodass ich endlich einen Blick auf das Cover erhaschen kann.

Ein Lächeln huscht über mein Gesicht. Nun entspannt sich auch die Frau sichtlich.

Als ich die Flasche aufschraube und den ersten Schluck nehme, fängt die Frau an zu erzählen.


© Stephanie Wimmer 2023-09-29

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Hoffnungsvoll