Erdbeer-Schorsch

Karen Anja Junkermann

von Karen Anja Junkermann

Story

Es war ein sonniger Dienstag im Mai, den ich gemeinsam mit meiner Kollegin Kira und unserer Kindergartengruppe auf dem groĂźen Spielplatz hinter der Kindertagesstätte verbrachte. GenieĂźerisch seufzend streckte ich mein Gesicht Richtung Sonne und kräuselte die Nase. Die letzten Wochen waren von Regen und Nebel dominiert nur so an mir vorbeigezogen. Umso schöner war es jetzt, als die Sonne endlich wieder schien.Eines der kleineren Mädchen aus unserer Gruppe lief an uns vorbei und plapperte fröhlich mit ihrer Freundin vor sich hin. “Und dann hat der Erdbeer-Schorsch den Hut angezogen…“, schnappte ich auf und sah verwundert zu Kira. Die sah genau so verwirrt aus, wie ich mich fĂĽhlte und hielt das Mädchen auf. “Wer hat den Hut angezogen?”, fragte sie grinsend und bemĂĽhte sich um eine ernste Miene. “Na der Erdbeer-Schorsch.” Das Mädchen verengte die Augen. Weil Kira beim nächsten Wort vermutlich in einen mittelschweren Lachanfall ausgebrochen wäre, tippte ich die Kleine an der Schulter an. “Wer ist denn der Erdbeer-Schorsch?” Ich konnte mir beim besten Willen nicht erklären, wer oder was der “Erdbeer-Schorsch” sein könnte. “Schorsch” war in unserer Gegend das durch unseren Dialekt versiffte Wort fĂĽr “Georg”, doch so richtig brachte mich diese Erkenntnis auch nicht weiter. „Der aus dem Buch im Kindergottesdienst.” Die Stimme des Mädchens riss mich aus meinen Gedanken. Sie rollte kurz mit den Augen und zog ihre Freundin mit sich in Richtung KlettergerĂĽst. “Was ist das bitte fĂĽr ein Buch?“ Kira kicherte. “Ein wahnsinnig kreatives. Erdbeer-Schorsch, was zur Hölle…?”, beantwortete ich die Frage, die mich ebenfalls beschäftigte.

Die nächsten zwei Stunden bis zum Mittagessen blieben wir auf dem Spielplatz. Nachdem wir das Geheimnis um den mysteriösen Erdbeer-Schorsch nicht hatten lösen können, akzeptierten wir die Figur als solche ohne weitere Fragen. Das kleine Mädchen hatte mittlerweile jedoch fast jedem davon erzählt und die ganze KiTa hatte sich gewundert.

Nachdem die Kinder unseren Gruppenraum in ein Chaos aus Nudeln und geschnittener Rohkost verwandelt hatten, legten wir sie zum Mittagsschlaf nebenan in den Ruheraum, lieĂźen die TĂĽr einen Spalt offen und begannen, die Lebensmittelreste von StĂĽhlen, Tischen und dem Boden zu entfernen, als plötzlich die TĂĽr auf der anderen Seite des Raumes langsam aufging und Nora, die Erzieherin der Nachbar-Gruppe mit hochrotem Kopf das Zimmer betrat. Sie biss sich verkniffen auf die Unterlippe und winkte uns hektisch zu sich. “Alles okay?” Ich zog die linke Augenbraue hoch. Kira spähte neugierig an mir vorbei. “Ich hab das Rätsel gelöst! Ich weiĂź, wer der Erdbeer-Schorsch ist.“ “Wie? Wer? Woher?” Kira und ich ĂĽberschlugen uns fast mit unseren Fragen. Nora legte eine Kunstpause ein. “Ich hab ihre Mama bei der Abholzeit gefragt. Und haltet euch fest. Der Erdbeer-Schorsch ist niemand anderes als der Erzbischof.”

© Karen Anja Junkermann 2023-01-29