Erde zu Erde…

Heidelinde Balzarek

von Heidelinde Balzarek

Story

Mit beschlagener Brille und Maske saß ich in der Aufbahrungshalle aus den sechziger Jahren. Die Worte des Pfarrers hallten eigenartig im Raum nach, denn die übersichtliche Trauergemeinde hatte sich mit Corona – Abstand regelmäßig in den Bankreihen verteilt. Aus dem Off erklangen immer wieder befremdliche Melodien, die eine Stimmung erzeugen sollten. Kein persönliches Wort wurde über die Verstorbene gesagt, einzig ihr Name fiel mehrmals, wobei rhythmisch zerlegt und damit kaum kenntlich. Margarita, ihr Taufname, wurde hier eingesetzt. Für mich war sie einfach Git, Tante Git in meinen Kinder- und Jugendtagen. Sie hatte mich bis zu ihrem Todestag wie eine unauffällige Konstante begleitet, die erst im Wegfall auffällig wird.

Ich saß da und genoss es, hinter der Maske meine Mimik nicht kontrollieren zu müssen. Wie meine Mutter neben mir weinte ich nicht und nahm den gesamten Vorgang als unpersönlich und beklemmend wahr. Man erweist jemandem die letzte Ehre, wobei dieses Wort im Deutschen fast nicht mehr verwendet werden kann. Corona gibt in dieser Zeit Bedingungen vor, dass es fast unmöglich erscheint. Es bleibt nur die leere Hülle zurück, verbraucht und sinnentleert. Hat es diese Seuche gebraucht, um den Staub von unseren Seelen zu klopfen? In meiner vorgenommenen Haltung der Teilnahmslosigkeit ergriff mich plötzlich und unvermutet eine immense Wut, die sich mit einer verzweifelten Trauer paarte.

Git hatte am Grab ihrer Mutter einen Herzinfarkt erlitten und reagierte nicht adäquat. Sie fuhr noch mit dem Bus zum grünen Markt wohl im Glauben, es sei nicht so schlimm. Einen Standler bat sie, weil sie ihr Handy wie immer zu Hause gelassen hatte, er möge die Rettung und meine Mutter anrufen. Ihr teilte sie mit, es ginge ihr seit dem Friedhofsbesuch nicht gut und sie müsse ins Spital. Das war ihr Abschied von meiner Mutter, ihrer besten Freundin, denn wenige Stunden später verstarb sie bei Untersuchungen ganz unerwartet. Meine Mutter erzählte mir fast nebenbei von Gits seltsamen Anruf, als ich nach meiner Lehre an diesem Tag mit ihr telefonierte. Gleich hatte ich ein sehr unbehagliches Gefühl und rief zeitnah im Spital an. Da wurde ich sofort mit ihrem Arzt verbunden, der mich über ihr Ableben in Kenntnis setzte. Den restlichen Abend bemühte ich mich, ihren Bruder in Deutschland zu informieren. Dieser saß nun samt Frau als einziger schluchzend in der ersten Reihe.

Dieses unauffällige und unprätentiöse Leben fand hier seinen Abschluss. Mit Abstand wanderte die Trauergemeinde zum offenen Grab. Vor meinem geistigen Auge sah ich die Särge der Coronaopfer, die teilweise ohne Ritual, in der Ferne betrauert, eingeäschert wurden. Plötzlich fing ich hemmungslos zu schluchzen an, als ich ein Schauferl Erde ins Grab warf. Von der Erde kommst du und du kehrst zu ihr zurück. Die Mutter Erde nimmt uns auf, der Kreislauf des Lebens endet aber nicht. Die Hoffnung erblüht in allen Farben, das Herz muss offen bleiben für das Leben an sich.

© Heidelinde Balzarek 2021-05-03

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