Erfundene Zitate

Jamal Tuschick

von Jamal Tuschick

Story
Im badisch-schwĂ€bischen Grenzland zwischen Pforzheim und MĂŒhlacker

„C.G. Jung begrĂŒndete mit Jean Gebser die Vorstellung, dass die ersten Menschen in Ekstase badeten, und dass dieser transzendente Sinneszustand der wahre und natĂŒrliche sei.“ Roland Paulsen

Zweihunderttausend Jahre lang kannten wir kaum eine Form der Vorratswirtschaft, heute eröffnen wir Sparkonten fĂŒr Ungeborene. Wir mĂŒssen bei der Wahl des Essens tĂ€glich viele Entscheidungen treffen, die uns lange der Mangel abgenommen hat. „Die Wahlmöglichkeiten, die uns Kultur und Technologie in Massen bescheren, unterwandern das Leben“, sagt der Soziologe Roland Paulsen. Ein Pferdehof bedeutet vor allem Arbeit. MĂŒsste der westfĂ€lische Pascha Anton Steinbrecher seine Leute normal bezahlen, könnte er einpacken und wieder auf Trebe gehen. Gern erzĂ€hlt er von den Clochards, mit denen er als junger Mann unter Pariser Seine-BrĂŒcken kommunistische Lieder sang, bevor er sich im Dritten Reich gleichschalten ließ. Er trennte sich von seiner MĂ€hne, legte den Schillerkragen ab und die Feldkoppel an. Die nĂ€chsten zwölf Jahre trug er Uniform, angeblich in heimlicher Opposition.

Doch danach fragt keiner. Anton ist eine Ikone des Wirtschaftswunders, ein Selfmade-MillionĂ€r wie aus dem westdeutschen Nachkriegsbilderbuch. Der hĂŒnenhafte Dortmunder wirkt unter Schwaben wie Gulliver im Land der Zwerge. Weil das mit dem Siedeln im Osten nicht geklappt hat, siedelt Anton im schwĂ€bisch-badischen Grenzland nahe einem Dorf, das Jahrhunderte dem Kloster Maulbronn zukam. In einem unterirdischen Gang fand man SĂ€uglingsskelette in BeinhausstĂ€rke. Antons Frau Elisabeth ‚Betty‘, geborene Britsch, kam zwar in Pforzheim zur Welt, ihrer Familie, der KĂŒchenmeister- und Schmied-Stamm der SchĂ€ufeles, stammt aber aus Ö
 und Umgebung. Die SchĂ€ufeles sind ein „zĂ€hes Geschlecht“. Das hört Anton jeden Tag von seiner Oma. Er ist das Ohr seiner Oma.

„Der Nachname SchĂ€ufele stammt aus dem SchwĂ€bischen 
 und ist ein Familienname, der sich auf 
 KleingrĂŒtter bezieht. Ein KleingrĂŒtter ist ein beeidigter KĂŒchenmeister … Fleisch (wurde im) Verkaufskorb – dem SchĂ€ufele – transportiert.“ Quelle:  https://www.igenea.com/de/nachnamen/s/schaufele

Um einen Betrieb wie die Koppel am Laufen zu halten, braucht man pferdeverrĂŒckte MĂ€dchen. (Koppel heißt das wie ein Aussiedlerhof frei in der Landschaft liegende Anwesen der Familie Steinbrecher.) Solche verausgaben sich im Stall und auf der Weide fĂŒr Gotteslohn. Sie helfen bei den vielen Ernten, machen Heu, verarzten Mensch und Tier mit somnambuler Hingabe. Ihr Altruismus macht aus ihnen Erscheinungen. GebĂŒhrend bewundern sie die rĂŒden Platzhirsche und spenden den Nachhumpelnden Trost. Mann darf sie drĂŒcken, aber natĂŒrlich haben sie ihren Favoriten unter den MĂŒhsamen und Beladenen. Sie tun gern, was andere nur tun, wenn man sie dafĂŒr bezahlt.

Auch Iris lĂ€sst sich von Antons Reitsport-Hokuspokus einseifen und abspeisen. Das ist eine Mischung aus esoterischem Geraune, platten SprĂŒchen, erfundenen Zitaten und ungekennzeichneten Aneignungen des geistigen Eigentums veritabler Denker.

© Jamal Tuschick 2024-05-17

Genres
Romane & ErzÀhlungen
Stimmung
Abenteuerlich
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