Erinnerung an Oma

EveGrusel

von EveGrusel

Story

Meine Oma ist schon superalt, sie sieht auch schon so aus und riecht nach Mottenkugeln. Sie lebte bereits, als Ritter Prinzessinnen aus Türme retteten und Drachen ihr Unwesen trieben. Man nannte diese Zeit das Mittelalter. Ich weiß, dass jene Zeit anders war, nur meine Mutter versuchte, es etwas schöner zu reden. Zu jener Zeit hatte Oma ihre helle Freude.

Sie hatte ihren Schabernack mit den Dorfbewohnern getrieben. Sie verdrehte die Kreuze, machte die Milch sauer. Sie schenkte einem Wanderer eine Zauberflötete, was ich eigentlich ganz nett fand. Wie ich heute weiß, waren so in einem ganzen Ort erst die Ratten und dann alle Kinder verschwunden. Sie war schon eine Schlimme, aber nicht wirklich Böse. Manchmal ließ sich Oma von den Leuten fangen. Dann wollte man sie ertränken oder verbrennen. Aber eh es dazu kam, löste sie sich in Nebel auf und entkam. Doch die Dorfbewohner wurden immer aufdringlicher und damit sich alle beruhigen konnten, zog sie lieber weiter auf ihren Besen. Sie ließ sich an diesem Ort nieder. Sie wurde mit den Jahren ruhiger und heiratete einen wohlhabenden Bauern, meinen Opa.Opa war schon tot, doch er guckt uns trotzdem vom Kamin aus zu. Ich weiß nicht, wie er das in dieser Vase schafft, denn sie hat kein Fenster, aber vieles ist bei uns halt anders.Mama hatte hierfür ebenfalls eine Antwort, sie sagte, Oma liebte ihn sosehr, dass sie es nicht ertragen konnte, ihn nicht bei sich zu haben. Sie weiß halt die Dinge schön zu reden.

Anders wie Oma. Sie sprach nicht. Das heißt, manchmal schon in der Nacht, wenn eigentlich alles schlief. Dann hörte ich ihre Stimme, die bis in mein Zimmer drang. Ich wachte stets davon auf, nahm mir ein Licht und ging in die alte Wohnstube.Sie gehörte nur Oma, mit dem Kamin, der nie brannte, einem Schaukelstuhl, vielen Büchern und einem ominösen runden Teppich. Warum er ominös war? Weil die Symbole, die darauf gewebt waren, keine normalen Muster waren. Ich kannte sie aus den Hexenbüchern. Ich nahm mir ein Kissen, manchmal auch eine Decke und lauschte, was sie zu erzählen hatte. Außer meinen Namen verstand ich Anfangs nichts, doch wie die Zunge erst einmal in Fahrt kam, wurde es immer deutlicher. Sie erzählte mir Geschichten von Geistern, Feen und Wichten.Sie brachte mir Zauber bei oder belehrte mich. Denn aus irgendeinem Grund wusste sie, was ich am Tage gemacht hatte, besonders wenn ich etwas nicht befolgte. Manchmal hielt sie in ihrem Gespräch inne, als würde sie lauschen, dann berichtete sie, was Opa dazu sagte. Hin und wieder sprach sie mit ihm, ohne eine Antwort zu erhalten, jedenfalls hörte ich keine. Vielleicht machte sie das auch nur, um in der Mehrheit zu sein.

Mit den Morgenstunden wurde sie müder und immer leiser, bis sie ganz verstummte. Ich selbst war dann schon längst vor ihrem Schaukelstuhl eingeschlafen, gekuschelt in meinem Nachtlager. Doch erwachen tat ich immer in meinem Bett.

© EveGrusel 2022-04-05

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