Erinnerungen 39 -Christkind, wo bist du?-

Erich Stöger

von Erich Stöger

Story
überall 1960 – 2023

Christkind, wo bist du, frage ich mich? Versetze ich mich in meine Kindheit zurück und vergleiche meine Erinnerungen ans Christkind mit heute, würde ich diese Frage am liebsten laut aus mir herausschreien. Das Christkind war für uns Kinder, oder doch zumindest für mich, ein wunderbares Mädchen im weiß goldenen Kleid, geschmückt mit Sternen von Kopf bis Fuß. Lange, lockige blonde Haare ragten aus ihrer ebenfalls goldenen Krone hervor. In der einen Hand einen leuchtenden Stab mit einem Stern an dessen Spitze und mit der anderen führte sie einen langsamen Schwenk über die Kinder. Dies sollte bedeuten ich habe euch nicht vergessen und ich habe euch alle lieb und ich werde euch reichlich beschenken. Ist das nicht ein Grund sich auf das Christkind zu freuen, frage ich. Aber wer läuft mir heutzutage in der Fußgängerzone stetig über den Weg? Richtig geraten, der Weihnachtsmann! Also kennen dürften sich die beiden nicht, das Christkind und der Weihnachtsmann, denn sie sind in ihrer Art einfach zu verschieden. Nun ja, auch er teilt Geschenke aus, aber er ist eben nicht das Christkind. Eben! Außerdem ist er kein Kind, sondern ein alter Mann in rotweißer Kleidung, gewölbten Bauch und langem ebenfalls weißem Bart und oft auch mit Brille. Bis auf die Kleidung und dem Bauch könnte das ja auch ich sein! Letztes Jahr begegnete ich auch dem Christkind im rundherum tobenden Einkaufswirbel und zwischen den Punsch- und Glühweinhütten. Aber es war weit über zweieinhalb Meter groß und auf Stelzen gehend. Wo bleibt da das Kind? Sind Kinder nicht immer klein? Und nun das Riesending auf Stelzen. Würde diese Christkindfigur nicht eher in einen Zirkus passen und um statt Süßigkeiten zu verteilen, einige Kunststücke vorführen? Das Christkind meiner Jugend war in unserem Umfeld zu Hause, auch wenn es sich nur zur Weihnachtszeit zeigte, aber der Weihnachtsmann, woher kommt der eigentlich? Nun ja, wir Erwachsenen wissen schon Bescheid, aber was ist mit unseren Kindern? Das Christkind kommt pünktlich am vierundzwanzigsten Dezember zu den Kindern. Wie? Natürlich durch die Schlüssellöcher der Kinderzimmer und auch durch verschlossene Fenster und Türen. Das Christkind lässt sich nicht aufhalten! Und der Weihnachtsmann? Er kommt verspätet am fünfundzwanzigsten Dezember durch den Kamin. Haben eigentlich alle Familie einen Kamin? Ein wesentlicher Unterschied ist aber auch der Geschenkablageplatz. Das Christkind übergibt immer unter dem Christbaum, und der Weihnachtsmann? Er sucht Socken, die über dem Kamin hängen oder schlimmstenfalls Schuhe die vor der Tür stehen. Obwohl, ehrlich gesagt, dies nicht mehr überall der Fall ist. Okay, er kommt mit einem Schlitten der von Rentieren gezogen wird, aber unser Christkind braucht keinen rentiergezogenen Schlitten, weil es ja fliegen und sich, wenn notwendig auch unsichtbar machen kann. Ein weiterer Unterschied ist das Klingeln des Weihnachtglöckchens. Das ist sozusagen der Startschuss für den Zugang ins Kinderzimmer. Warum kommt der Weihnachtsmann heimlich? Aber das ist ja auch ein Widerspruch, warum sieht man ihn so oft und das Christkind so selten? Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, es liegt mir fern, das Christkind gegen den Weihnachtsmann auszuspielen. Aber ich denke, seine Gedanken machen darf oder sollte man sich ja doch. Frohe Weihnachten euch allen!

© Erich Stöger 2024-12-14

Genres
Humor& Satire
Stimmung
Herausfordernd, Emotional, Hoffnungsvoll, Unbeschwert
Hashtags