von Erich Stöger
Ein Favorit von all den eingemachten Köstlichkeiten war für uns Kinder zweifellos die Marille. Egal als Kompott oder als Marmelade. Natürlich auch als frische Frucht. Uns war dabei nicht bewusst, dass sie eine relativ kurze Genussdauer hat, sehr wohl aber, dass sie das raue Klima des Waldviertels nicht mochte. Vielleicht war das für uns Kinder die Erklärung für ihre Exotik ohne den Begriff Exotik zu kennen. Selten oder seltsam waren uns eher bekannte Wörter dafür.
Alleine der Geruch war uns gegenüber den geläufigen Obstsorten sonderbar. Die Intensität von Mamas Marillenmarmelade war unbeschreiblich. Was aber nicht heißen soll, dass wir all die anderen Früchte nicht auch mochten. Aber einen Zwetschkenfleck gab es halt wesentlich öfter als einen Marillenfleck. Apfel- und Birnenkuchen und Strudeln gab es eigentlich auch das ganze Jahr über. Aber die Marille war eben das Besondere!
Diese Besonderheit begann sicherlich schon durch den Einkauf, der sehr oft mit einem Familienausflug verbunden war. Die anderen Früchte wurden oft selbst gepflückt, beim Nachbarn mit Garten oder aber beim Dorfgreisler erstanden. Ja, und dann gab es dann noch Mamas Marillenpalatschinken. Genuss der Oberklasse würden wir heute sagen. Für Mama bedeutete diese Mahlzeit (großteils das Mittagessen) für vier Kinder Stress. Zumeist begann sie schon eine Zeit vor unserer Schulheimkehr mit der Palatschinkenzubereitung und hielt diese im Ofenrohr warm. Man stelle sich vier hungrige, nach Marillenpalatschinken gierende Kindermünder vor! Ich muss zugeben, dass die eine oder andere mütterliche Ermahnung erfolgte, weil wir einfach ungeduldig waren. Und dann begann das Beschmieren der Palatschinken und das Rollen. Sie waren oft so dünn, dass sie manchmal dem Gewicht der Marmelade nicht standhielten. Vom jüngsten zum ältesten wurde ausgeteilt und dann wieder das Ganze von vorne. Das Verschlingen einer Palatschinke dauerte nicht Minuten, sondern erfolgte innerhalb weniger Sekunden. Mama sparte dabei eigentlich nicht mit der Marmelade und das schätzten wir sehr. Natürlich war irgendwann im Laufe des Jahres (meist gegen Ende des Winters) die Marillenmarmelade zu Ende und die Palatschinken wurden mit anderen Marmeladensorten befüllt. Auch sie waren gut, aber eben keine Marillenpalatschinken. Mama handelte aber klug und versorgte uns so zwischendurch auch mit allerlei Kompotten. Sie waren allesamt süß und der Saft war ebenfalls ein Genuss. Auf Tiefkühlware konnte man damals nicht zurückgreifen. Im Handel gab es sie noch nicht und die Tiefkühlung im Haushaltskühlschrank war, falls überhaupt vorhanden, sehr begrenzt. Zu den auch eher selteneren Früchten zählten wir auch die Pfirsiche, Bananen und Weintrauben. An eine echte Ananas kann ich mich nicht erinnern, sehr wohl aber irgendwann als Dosenfrüchte.
Aber die Welt, die Menschheit und die Entwicklung standen nicht still. Wenn ich heute so manchmal durch die Obstabteilung eines Supermarktes schlendere und diese reichhaltigen Angebote vor Augen habe und ich mich dabei an meine Kindheit zurückerinnere, wird mir bewusst, wie sich die Welt in doch so vielen Dingen zum Guten gewandelt hat.
© Erich Stöger 2025-04-12