von Erich Stöger
Es muss wohl anfangs der Siebzigerjahre gewesen sein. Neil Armstrong hatte den Mond bereits betreten. Aber dazu später. Papa (die Familie) hat ein neues Auto. Eigentlich kein wirklich neues, sondern ein gebrauchtes, wie schon der dunkelgraue Opel (das erste) eines war. Wie und warum es zu diesem Handel gekommen ist, weiß ich nicht mehr. Vermutlich hatte unser treuer Opel sein Lebensalter bereits weit überschritten. Auf alle Fälle fand ich mich bei meinem Heimatbesuch vor einem Ford Taunus 20M wieder. Zugegeben, ich war überrascht, plötzlich eine solche Limousine vor mir zu haben. Ich war bereits in meinem zweiten Lehrjahr und dementsprechend nicht mehr so oft bei meiner Familie zu Hause. Und es muss auch in der Vorweihnachtszeit gewesen sein und so komme ich wieder auf die erste Mondlandung zurück. Ich hatte wahrscheinlich nicht nur einen freien Tag, sondern mehrere. Das war sozusagen ein Zeitausgleich für die oft fehlenden freien Tage in der Hochsaison. Aber egal, das ist eigentlich nicht wirklich wichtig.
Papa hatte Einkäufe für die Firma zu tätigen und Mama und ich waren mit dabei. Im neuen Auto. Meine Geschwister waren in der Schule und mir kam dieser Umstand sehr gelegen, konnte ich doch so alleine wie ich unterwegs war, die Weihnachtsgeschenke einkaufen. Die Idee der Geschenke für Papa und Mama hatte ich schon im Kopf. Alles über die Mondlandung für Papa, ein großartiges Buch, und ein Angelique Buch für Mama. Diese Angelique Bücher waren gerade der letzte Schrei unter den Liebesromanen. Ich glaube mich zu erinnern, dass wir noch in einem Gasthaus ein etwas verspätetes Mittagessen eingenommen haben, bevor wir uns auf den Heimweg machten.
Nun ja, Papa wollte uns natürlich die Power des „Neuen“ fühlen lassen und das war eine kurze Zeit auch ein tolles Gefühl. Aber dann, auf einer langen Gerade und dementsprechendem Tempo geschah es. Ein lauter Knall, so als würde eine Bombe explodieren (wir haben nie eine Bombe explodieren gehört), verkrampfte sich mein Körper (wahrscheinlich auch der meiner Eltern) und es begann kurz eine Schlingerfahrt über einige hundert Meter. Nur durch die Konzentration von Papa, der das Lenkrad so weit wie möglich immer noch gerade nach vorne richtete und somit eine relative Gerade halten konnte, kamen wir irgendwann zum Stillstand. Nach schrecklichen Sekunden brachte Papa das Auto zum Halten. Wir brauchten einige Schrecksekunden, bevor wir es wagten auszusteigen. Stillschweigend standen wir mit zitternden Knien da und erst als der Schock so halbwegs abgeklungen war, sahen wir den rechten Vorderreifen. Das komplette Profil hatte sich rund um den ganzen Reifen gelöst. Nachdem wir wieder so halbwegs handlungsfähig waren, wechselten wir den kaputten Reifen aus und fuhren in Anbetracht dessen, was uns hätte passieren können, die noch wenigen Kilometer nach Hause. Mein Vater kaufte sich ab diesem Zeitpunkt keine „Runderneuerten Reifen“ mehr. Heute sind diese, soweit ich weiß, sowieso verboten.
Wann immer ich in den folgenden Jahren diese beiden Bücher im Regal des Wohnzimmerschrankes meiner Eltern sah, wurde ich mir unseres damaligen Schutzengels bewusst.
© Erich Stöger 2025-05-18