Erna

Luna Winkler

von Luna Winkler

Story

Als sie mit ihren Händen über die Bibel fährt, merkt sie, dass ihre Haut genauso faltig ist wie die des vergilbten Buchrückens. Natürlich war ihr das schon eher aufgefallen, sie ist ja nicht von heute auf morgen…alt geworden. Wenn sie ihren ___________________ über die Wangen strich. Wenn sie Geldscheine aus ihrem verschlissenen Portemonnaie fingerte. Oder sie ihre ___________________ Henkeltasse mit der abgeblätterten Keramikglasur an die _________________ Lippen führte. Erna wusste, dass sie alt war. Aber das sie so alt war, das wurde ihr erst hier, auf den Polstern der Kirchenbank mit den unbequemen Rückenlehnen bewusst.

Sie erhob sich, raffte den Sonntagsrock noch oben, um in die Knie zu gehen. Sie bekreuzigte ihren Oberkörper und sah zu den Figürchen und Engelein hinauf. So schön rotbackig, so gesund, so voller Leben. Diese Statuen waren lebendiger als sie, das stelle sich man mal nur vor. Sie verließ das Gotteshaus, in dem Glauben, sie wäre __________________.

Daheim angekommen, meldete auch ihr Körper, dass sie obiges war. Steinalt und gebrechlich, ihre Knochen porös wie der Kalksein, den sie früher immer mit Bernhard gesammelt hatte. Was waren das für Zeiten gewesen! Sie jung und frei und so unfassbar verliebt. Sie lächelt zaghaft.

„_______________________________“ hat man sie im Dorf betitelt. Ewige Liebe haben sie sich damals geschworen, auf der Bank am See, als die Kirschbäume blühten. Heute ist der See zugeschüttet, die Bäume hat man gerodet und Bernhard auf dem Friedhof verscharrt.

Erna seufzt und legt die knöchrigen Hände in den Schoß. Er war schon ein ____________________. So tapfer und so unfassbar charmant. Zu charmant für die Frauenwelt und zu tapfer für eine anständige Beziehung mit ihr. Verteufelt hat sie ihn. Neun Monate hat sie ihn verteufelt, bis sie Achim in den Händen hielt. Und heute? Heute ist sie nicht nur alt, sondern auch unfassbar ________________.

Achim hat Carolin. Und mit ihr hat er Jonas. Und Jonas hat Melanie. Und die beiden haben die Zwillinge, ______________ und _________________. Alle wohnen sie ____________________. Und sie ist so alleine. Zu Weihnachten, zum Geburtstag, zu Allerheiligen, wenn sie Bernhard auf dem Friedhof besucht. Und Anne, ihre _____________________.

Und wenn sie dann vor ihrem Grab steht und die eingravierten Ziffern auf ihrem _______________________ betrachtet, da kommen ihr die Tränen. Sie war so alt und Anne bleibt auf ewig jung. Sie klappt das Fotoalbum zu und ___________________. Da klingelt es.

Sie blickt aus dem Fenster. Frau ________________________, da unten, vor der Haustür. Sie öffnet ihre Wohnungstür, der Mechanismus für die Eingangstür ist seit Wochen kaputt. Kraftlos schiebt sie sich am Handlauf hinunter, will die gute Frau nicht warten lassen. Jaja, sie kommt ja schon.

Als sie die Stufe verfehlt, spürt sie, wie alt sie ist. Und als sie mit dem Gesicht auf den nackten Fliesen aufschlägt, da fühlt sie sich unfassbar _________________.

© Luna Winkler 2022-11-13

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