Erntedankfest und Trinkduell

Elisabeth-Christine Kayser

von Elisabeth-Christine Kayser

Story
Mecklenburg Vorpommern

Ein Dorf in Mecklenburg-Vorpommern. Es ist schon einige Jahrzehnte her, doch mir fiel jetzt das Geschehnis wieder ein. Die Geschichte keine Ruhe lässt. Wie immer gab es zur Erntezeit besonders viel zu tun. Selbst Kinder halfen gerne mit beim Kartoffeln sammeln. Erinnere mich, dass wir Wochen vorher sogar Kartoffelkäfer einsammelten.

Mittagessen für alle Erntehelfer wurde im Keller des Gutsschlosses gekocht. Geschickte Frauen mit ihren Kochkünsten gaben ihr Bestes. Was freuten wir uns darauf, schon wenn von Weitem die Gerüche vom Wind durchs Dorf getragen wurden. Das Essen wurde teilweise zu den Bauern auf die Felder gebracht. Es war deftig, schmeckte hervorragend. Manchmal waren Matrosen in ihren schmucken Uniformen auf den Feldern zu sehen. Die Bänder ihrer Mützen wehten lustig im Wind. Sie halfen, die Ernte mit einzubringen. Sogar einzelne Dorfschönheiten flirteten mit den jungen Burschen. Abends, nach getaner Arbeit, wurde manchmal heimlich geküsst. Wir Kinder blickten betreten zur Seite. Besonders mir entging nichts und ich machte mir meine Gedanken, albern, wie ich damals war. War ich doch selber eine Schmusekatze!

Zum Erntedankfest erstrahlte der Saal vom Schloss. Er war feierlich geschmückt und die Erzeugnisse standen in Körben und auf Tischen hübsch aufgebaut. Musik und Tanz erfreuten die Anwesenden. Wir Kinder hampelten lebhaft herum und lärmten, bis wir verscheucht wurden. Die Erwachsenen tranken Bier und Schnaps in Strömen. Manche tranken gar so viel, dass es in eine Art Kampftrinken ausartete. Es standen die Gläser jeweils in Reih und Glied. Unsere fleißigen Bauern hatten ansonsten außer viel Arbeit keine andere Abwechslung. Ein junger Familienvater, der ein halbes Dutzend Kinder sein Eigen nannte, und ein kinderloser Ehemann lallten bereits, doch sie tranken weiter. Ihre Ehefrauen wollten sich nicht einmischen. Waren deren Ehemänner ansonsten sehr zuverlässig und fleißig. Wir Kinder mussten nach Hause. Bettgang war angesagt. Wir maulten, wollten doch noch nicht ins Bett und vor allem nichts verpassen!

Der nächste Morgen. Mutter war sehr bedrückt. Sie erzählte mir, dass der Bauer mit den vielen Kindern eine Alkoholvergiftung hätte. Ärztliche Versorgung war nicht möglich und weit und breit kein Krankenhaus in der Nähe. Es sei aussichtslos. Ich war erschüttert. Der andere Bauer hatte es gerade noch so überlebt, jedoch war es ihm auch sehr schlecht ergangen. Das ganze Dorf war danach sehr bewegt. Er war ein sehr lustiger und lieber Mensch, immer hilfsbereit. Besorgte ich Zigaretten in einem anderen Dorf, gab er mir Geld, obwohl ich es nicht wollte. Habe dann aber doch davon Bonbons für uns Geschwister gekauft.

Bald fand die Beerdigung statt. Er war ein großer Verlust für seine Familie und die Dorfbewohner. Das Dorfleben war nicht mehr wie früher. Es war traurig, die Familie ohne ihren Vater zu sehen. Solche Trinkduelle fanden nie wieder statt. Monate später gebar die junge Witwe sein Kind.

© Elisabeth-Christine Kayser 2022-03-26

Genres
Romane & Erzählungen, Anthologien
Stimmung
Abenteuerlich, Herausfordernd, Emotional, Hoffnungsvoll, Informativ
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