Erotisches Echo

Jamal Tuschick

von Jamal Tuschick

Story
Die Philologin Persephone besteht in einer norddeutschen Kleinstadt mit großer Hanse-Vergangenheit erotische Abenteuer. Mit identifikatorischem Interesse analysiert sie Leben und Werk der Schriftstellerin Wanda von Sacher-Masoch.

„Warum sind wir nicht Tiere geblieben?“ lĂ€sst der Dichter Thomas Brasch (1945 – 2001) eine namenlose Figur fragen. Der Fatalismus der Geschichte summt in Braschs Werk sein Lied vom Sozialismus. Der Kampf geht immer nur „um eine Niederlage“. „Wer unterliegen will, muss siegen.“ Bitte vergessen Sie beim Lesen nicht, dass die Geschichte hauptsĂ€chlich in Ostdeutschland spielt und ihre Heldin die Tochter ehemaliger DDR-BĂŒrger ist. 

Aus Persephones Aufzeichnungen

Zwischen Ned und mir hatte sich die Anziehungskraft lĂ€ngst erschöpft, als wir noch einmal zu einem Schauplatz meiner KĂŒstenkindheit fuhren. Wir waren geimpft und maskiert. Das Pandemie-Procedere war ermĂŒdend und kein Thema zwischen uns. In WarnemĂŒnde erinnerte ich mich an unseren Anfang so, als hĂ€tten wir alles gemeinsam in meiner Herkunftsgegend erlebt. Wir trafen einen meiner altgedienten Verehrer. In Albrechts Wohnung standen Blumen im Weizenglas. Die Blumen musste eine Frau vorbeigebracht haben. Die Vorstellung versetzte mir einen Stich. Ich widerstand dem Wunsch, Albrecht ins Gebet zu nehmen und seine Aschenbecher zu zĂ€hlen. Einen hatte ich fĂŒr ihn in einer Wismarer Bar eingepackt. Manchmal waren wir einfach losgefahren. Albrecht maß zwei Meter. Ein Typ wie Kretzsche Kretzschmar. In einer Schale, die ich Albrecht geschenkt hatte, vergammelte eine Avocado. Mir missfielen Streifen, die Albrecht theatralisch ĂŒber die WĂ€nde gezogen hatte. Albrecht legte eine Platte auf. „Etwas Besseres hast du noch nie gehört“, sagte er, und ich wusste gleich, dass er recht hatte.

TagsĂŒber waren Ned und ich Freunde. Wir aßen am Strand. Nachts war unser VerhĂ€ltnis einfacher und komplizierter. Besser als nichts, dachte ich, so wie man stolpert. Als wir mit Albrecht nach Hamburg fuhren, wurde mir klar, dass es nie mehr gewesen war. „Ich werde nicht schlau aus euch“, sagte Albrecht auf Sankt Pauli. „Wie steht ihr zueinander?“ Was sollte ich sagen? Ned sagte nichts. Er trug Sachen, die ich fĂŒr ihn ausgesucht hatte. Wir kamen kauend aus einem Döner- in einen Plattenladen. Albrecht wollte mir die beste Platte der Welt schenken. Angeblich war es in Moskau gerade wĂ€rmer als in Hamburg. Ned und ich fuhren nach Husum. Ich kannte wen in SchobĂŒll. Der war nicht da. Ned sagte: „Überleg dir was.“ Also fuhren wir nach Laboe. Ich fotografierte das U-Boot am Strand. Ich hob nicht eine Muschel auf. Wir setzten uns in ein CafĂ© zu lauter (nach den Hygienevorschriften) abgekapselten BrillenkettentrĂ€gerinnen. Plötzlich fiel mir auf, dass ich seit drei Tagen nicht mehr auf dem erotischen Hochseil balanciert hatte. Ich fĂŒhlte mich vernichtet. Sollte mich am Ende mit Albrecht mehr verbinden als mit Ned? Immerhin hatten wir eine Gothic-Rave-Phase und die Strandsex-Initiation im Kohorteneinklang durchlaufen. Albrecht war mein Zeuge, als ich von der Magistrale abwich auf Saumpfade der Nebenreize. In seiner Gegenwart baute ich die ersten Kammern zur Erzeugung erotischer Echos. Er könnte mich jederzeit unmöglich machen. Sein Persephone-Archiv ist der reine Giftschrank, und doch erregt mich die Vorstellung, dass Albrecht Fotos von mir wie seinen Augapfel hĂŒtet, die mich kompromittieren.

© Jamal Tuschick 2024-07-13

Genres
Romane & ErzÀhlungen
Stimmung
Abenteuerlich
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