von Emma Breuninger
Bing! Ich wache auf. Das Zeichen „bitte anschnallen“ leuchtet auf. Der Landeanflug beginnt. Ich habe wohl gut geschlafen, ein paar Stunden wenigstens.
Es ist Samstag, der 24. Oktober 1981. Ich habe meinen Plan gezielt verfolgt und beginne an diesem Tag ein neues Leben. Ich bin auf dem Weg nach Mexiko, um den Rest meines Lebens dort zu leben. Das zumindest ist meine Idee, mein Plan. Nie habe ich daran gezweifelt, dass meine Entscheidung richtig ist. Einige Stunden zuvor bin ich in Frankfurt gestartet. Als ich von meinem Vater Abschied nehme, als ich den Weg zum Flugzeug antrete und noch einmal zurückschaue und ihn dort so allein und mit zusammengefallenen Schultern stehen sehe, verspüre ich einen Stich im Herzen. Er sieht so traurig aus. In diesem Moment begreife ich, wie unendlich schwer es für ihn sein muss, seine geliebte Tochter davon gehen zu lassen. „Was mache ich nur, ich muss verrückt sein“, denke ich einen kurzen Moment lang. Doch dann sitze ich im Flugzeug und will nicht mehr zurückschauen. Die Entscheidung ist gefallen.
An all dies denke ich, während das Flugzeug immer mehr an Höhe verliert und sich dieser Mega-Stadt nähert. Das unendliche Lichtermeer taucht unter uns auf. Deutlich zu erkennen die großen, vielspurigen Straßen, die vielen Autos, das Verkehrschaos. Ganz niedrig fliegen wir über die Dächer der Stadt, immer näher kommen die Gebäude, die Landebahn, das Flugzeug setzt auf. Es ist kurz nach 18.00 Uhr. Ich bin in meinem neuen Leben angekommen.
Ein lieber Freund nimmt mich in Empfang und bringt mich in den Süden der Stadt, wo ich für die ersten Wochen bei einer Deutschen unterkomme. Meine Ankunft wird gefeiert. Ich sitze inmitten des Wohnzimmers auf einem Stuhl, die anderen teilweise auf der Couch, teilweise auf dem Boden. Es ist inzwischen 21.00 Uhr geworden.
Plötzlich wird es mir schwindelig im Kopf. Und – was ist das? Die Hängelampe in der Ecke, schwankt diese nicht hin und her? Schon hört man Schreie draußen auf der Straße: „Está temlando, está temblando – es bebt, es bebt“. Der Strom fällt aus, das bedeutet, das Erdbeben hat eine Stärke von über 4,5 auf der Richterskala. Alle rennen raus ins Freie, dort laufen inzwischen schon die Nachbarn in Pyjamas herum, aufgelöst und entsetzt, voller Angst.
Ich stehe vor der Haustür an der Treppe und bin fasziniert. „Wir Menschen bilden uns ein, groß zu sein, alles zu beherrschen, wir können zum Mond fliegen und Atomwaffen bauen, aber wenn die Erde Lust hat zu beben, dann bebt sie. Sie tut, was sie will. Wir werden sie nie beherrschen können“. Ja, ich bin fasziniert und gleichzeitig denke ich: „Was hat dies wohl für mich zu bedeuten? Mexiko heißt mich mit einem Beben willkommen. Ist es ein Zeichen des Schicksals? Ein Symbol für das, was auf mich zukommen wird? Werde ich ein „bebenreiches“ Leben haben hier in Mexiko“?
© Emma Breuninger 2020-08-05