von Bipolarissa
Die Hausärztin machte kurzen Prozess und verwies mich an eine Psychiaterin in der Klinik. Des Weiteren gab sie uns (meine Mutter begleitete mich), Tropfen zur oralen Einnahme mit. Ich weiß bis heute nicht, wie diese heißen, aber nachdem mein Redeschwall nur noch mit Essen zu stoppen war, verabreichte meine Mutter mir die Ampulle und ich konnte mich etwas entspannen. In die Klinik marschierte ich tapfer alleine. Die sehr nette Psychiaterin stellte mir wenige Fragen und entließ mich dann mit der Diagnose “Hypomanie”, einem Rezept für Aripriprazol und einem Folgetermin. Ich gebe es ungern zu, aber ich weigerte mich, die Medikamente zu nehmen. Ich war doch nicht krank, ich fühlte mich schließlich seit der Kündigung wie befreit und wollte erstmal mein Leben in vollen Zügen genießen. Ich flippte also bis zum nächsten Termin mehr oder weniger einfach durch die Gegend, viel Party, viel Alkohol, viele soziale Kontakte.
Beim nächsten Termin fragte mich die Psychiaterin, ob ich jemals eine Depression hatte? Ich weiß noch, mein erster Instinkt war, sie auszulachen. Die Tage, an denen ich nicht aus dem Bett kam, ließen sich ausschließlich auf einen heftigen Kater zurückführen, antwortete ich ihr. Sie ging trotzdem davon aus, dass ich nach meiner Manie (wohlgemerkt nicht mehr nur Hypomanie), in eine Depression rutschen werde. Völlig unvorstellbar für mich, ich war doch schon immer ein sehr lebensbejahender Mensch, der die meiste Zeit rundum glücklich war. Sie empfiel mir, mir einen Therapeuten zu suchen und drückte mir eine Überweisung in die Hand.
Warum ich mich überhaupt zu einem Therapeuten begab, trotz mangelnder Krankheitsansicht?
Nach der ersten Diagnose im Juni, starb mein Vater im Juli 2016 völlig überraschend an einem Herzinfarkt. Auch knapp sechs Jahre später ist es surreal, dies aufzuschreiben. Ich weiß noch genau, wie ich den Tag (weiterhin krankgeschrieben) mit einer Freundin und einem Arbeitskollegen verbrachte. Wir genoßen das Wetter auf dem Balkon und auch, anders kann man es nicht sagen, das unbeschwerte Leben. Eine andere, sehr gute Freundin aus meiner Kindheit rief mich an, ob sie mich kurzfristig besuchen kann. Schon als sie zur Tür hereinkam, merke ich, dass irgendwas nicht stimmte. Parallel rief meine Mutter auf dem Handy an und so erfuhr ich, dass mein Vater am Vormittag verstorben ist.Ich stand völlig unter Schock, als ich wahllos Klamotten in meinen Rucksack stopfte. Auf der Rückfahrt mit meiner Kindheitsfreundin (ihre Mutter fuhr) saß ich auf der Rückbank, erzählte von meinem Dad und seinem Vater und weinte das erste Mal. Was Leuten hilft, die ein enges Familienmitglied verlieren? In den ersten Tagen Nähe und Distanz im Wechsel, aufrichtiges Beileid und, ganz banal, Essen. Zusätzlich hat mir das Schreiben sehr geholfen, ob Tagebuch oder die Rede zur Beerdigung. Wichtig sind die Mitmenschen, die realisieren, dass sich unser Alltag für immer verändert hat und regelmäßig nachfragen: “Wie geht’s?”
© Bipolarissa 2022-03-16