von Julia Rother
Es ist wunderschön und schrecklich zugleich, ein neues Projekt zu beginnen, denn zu dem Hochgefühl des Tatendrangs gesellt sich oft die berühmte „Angst vor dem weißen Blatt“.
Darum hatte ich beschlossen, mit den Probebildern für das Buch direkt vor meiner eigenen Haustür, also der Eingangstür zum Studierendenwohnheim in Potsdam, zu beginnen.
Es überraschte mich sehr, dass ich hier direkt einen Sticker fand, der auf den ersten Blick einen sehr „national-stolzen“ Eindruck auf mich machte, da „die Heimat“ auf ihm prangte und daneben ein röhrender Hirsch mit ausladendem Geweih zu sehen war. Allein das grüne Farbschema des Stickers verwirrte mich, da ich es bei solch einer „nationalistischen“ Botschaft nicht als erstes erwartet hätte.
Bei genauerem Hinsehen erkannte ich dann, dass irgendwer mit einem schwarzen Permanentmarker das „gegen“ vor „die Heimat“ übermalt hatte. Meine Internetrecherchen ergaben, dass es sich zuvor tatsächlich um einen antifaschistischen Aufkleber gehandelt hatte, und ich wusste, dass ich gleich auf Anhieb meinen ersten Sticker fotografieren würde. Allerdings fand ich die abgebildeten aufeinanderprallenden Welten im ausgewählten Foto so faszinierend, dass es für meine weitere Suche der wichtigste Vergleichspunkt sein würde.
Zumal ich sofort eintausend Fragen zu der Person mit dem schwarzen Stift im Kopf hatte.
Der Sticker haftete leider etwas über meiner Kopfhöhe, weshalb ich für dieses Bild mein einbeiniges Stativ und den Zoom meines Teleobjektivs zur Hilfe nehmen musste, um aus einiger Ferne die Augenhöhe zum Sticker zu simulieren. Dennoch – oder gerade deswegen – mag ich dieses Bild besonders.
Allerdings ist es schon verblüffend, dass als Ausdrucksort des Frustes dann gut sichtbare und gleichzeitig so unscheinbare Orte wie der Laternenpfahl vor dem Wohnheim gewählt werden. Andererseits unterhalte ich mich nur selten mit den Leuten aus den Nachbarwohnungen … vielleicht wohnen die Verantwortlichen ja nebenan!
Erstaunlich, dass ich diese Aktion vor der Haustür vorher nie bemerkt habe.
© Julia Rother 2022-11-21