Früher gab es für mich nichts zu diskutieren: Ich werde Prinzessin. Ich heirate einen Prinzen. Wenn es mir schlecht geht, singe ich ein Lied und alle Probleme verpuffen.
Als der Prinz mich nach 18 Jahren immer noch nicht gefunden hat, schließe ich mich einer Gruppe fahrender Ritter an. Keine echten Ritter. Musiker mit komödiantischem Programm. Ich darf singen, wenn auch nur im Background. In der Mini-Version eines Mittelalter-Kleidchens säusele ich unter dem Namen Orgasta schmutzige Verse ins Mikrofon. Mit Fellatia, meiner besten Freundin, trage ich mittels Dildo präparierte Lanzen über die Bühne, aus denen Eierlikör auf das Publikum spritzt. Wir nennen sie die Schwanzen. Jemand schreibt in unser Gästebuch, dass wir zu dick für kurze Kleider sind. Ich bin ganz normal. Normal ist nicht sexy genug. Obwohl wir schreiend schlecht sind, ist die Zeit ein Rausch: Straßen, Menschen, Bühnen, Hotels.
Eines Tages schenkt mir ein junger Mann seine Aufmerksamkeit. Er ist zu schön, eigentlich sollte er mich nicht bemerken. Ist er der Prinz? Wir reden. Wir lachen. Wir küssen uns. Er behandelt mich respektvoll. „Langweilig“, ruft der Teufel, der Feigling, in mein Ohr und ich höre mich sagen: „Ich bin müde.“ Aber ich gehe nicht schlafen. Ich schleiche mich davon, schnappe mir einen räudigen Kerl mit grünen Augen und vernasche ihn in einem Séparée. Wir haben kaum gesprochen. Während mein Prinz schläft, trinke ich Honigbier aus dem Bauchnabel eines Räubers. Nebenan grölen die Besoffenen.
„Du bist so eine Schlampe“, ruft unser Schlagzeuger am nächsten Tag. Er meint es nicht böse. Für ihn bin ich damit wie der Rest der Band. Wäre ich wirklich wie der Rest der Band, hätte niemand mein Verhalten kommentiert. Schlampe. Eigentlich meint er, dass ich die Lage im Griff habe. Er sieht mich als eine dieser Klischee-Frauen, die Dinge sagen wie: „Ich bin eine Frau, die weiß, was sie will, und es auch bekommt.“ Ich weiß überhaupt nicht, was ich will und was ich bekomme, hat wenig mit meinen Wünschen zu tun. Ich suche nach einem starken Vorbild und lande irgendwo zwischen Marilyn Monroe und Marilyn Manson. Abseits der Bühne trage ich Schwarz, um zu zeigen, dass ich innerlich tot bin. Ich will die Türen öffnen und Leben in mich einlassen, stattdessen lasse ich Männer ein, aber die Türen öffnen sich nur, wenn ich getrunken habe.
„Stell den Background heimlich leiser, es reicht, wenn man sie tanzen sieht“, sagt unser Frontmann zum Tontechniker, weil er glaubt, wir erfahren es nicht. Irgendwann sollen wir gar nicht mehr singen, aber eine Feuershow wäre gut, am besten in vier Wochen schon! Ich verlasse die Band, ohne ihnen zu sagen, was ich denke. Wir alle wissen, dass ich nie wirklich Teil von ihnen war, so wie ich nie wirklich Teil von etwas bin. Ich bin frei. Sie haben nichts mehr von mir, außer einem Liedtext, den sie als ihren ausgeben. Der handelt von einem Kerl mit sieben Fingern an der Hand. Sollen sie ihn behalten. In meiner Fantasie sind es zwei Mittelfinger.
© Jane Steinbrecher 2022-06-17