Erwachsene die sich an Magnetsprüche klammern

Elisabeth Bertsch

von Elisabeth Bertsch

Story

„Wenn ich groß bin, dann …“ Diesen Satz habe ich als Kind hin und wieder gesagt und mir vorgestellt, wie mein Leben später einmal aussehen würde. Wow! Beruf, Haus mit Gartenzaun, Auto und Familie waren für mich sehr konkret im Kopf und in meinen Zeichnungen. Liebevoll und mit großer Begeisterung ließ ich meine Buntstifte über das Papier tänzeln. Ein Kamin, aus dem Rauch aufsteigt, ein Apfelbaum neben dem Haus und Schmetterlinge oben am Himmel. Erwachsensein war für mich ein greifbares Bild, das man einrahmen könnte. Denn ja, genau so würde es bestimmt einmal aussehen – mein Leben, wenn ich groß bin.

Manches davon ist eingetroffen. Viel Unerwartetes kam auch dazu. Oder, um den Magnetspruch auf meinem Kühlschrank zu zitieren: „Das Leben ist schön, von einfach war nie die Rede.“ Gut, dass mein sechsjähriges Ich nicht wusste, wie verzweifelt man sich als Erwachsene montagmorgens an niedliche Magnetsprüche klammert. Wenn der Alltag mal wieder so richtig fies einfährt und sich die Augenringe der Vorwoche und Vorvorwoche hartnäckig halten. Wenn die Tankanzeige im Auto dauerleuchtet, während das Konto schwarze Zahlen kaum noch kennt. Erwachsen bist du, wenn das Geld nie reicht. Das wäre doch ein schöner Magnetspruch? Ziemlich ernüchternd, aber immerhin wahr.

Als Kind hatte ich ein klares Bild vom Erwachsensein. Auch heute habe ich ein klares Bild vom Erwachsensein. Die beiden sind sich im Grunde recht ähnlich, wären da nicht diese hinterhältigen „Abers“ meiner derzeitigen Lebensrealität. Böse, kleine Abers, die sich geschickt in das alltägliche Hamsterrad einschleichen – jetzt, wo ich groß bin.

Das Haus ist gebaut. Aber spätestens bei der 147. Entscheidung, nämlich ob die Steckdosen 15 oder 20 Zentimeter neben den Türrahmen sein sollen, lagen die Nerven so was von blank.

Der Baum steht neben dem Haus. Aber es ist kein Apfelbaum, der prächtig wächst und reife Früchte trägt, sondern ein armseliges, gerade mal kniehohes verrecktes Pflänzchen. Entweder fehlt der grüne Daumen oder die Zeit.

Aus dem Kamin steigt Rauch, aber stets kalkuliert. Denn Heizen ist teuer und ein dicker Pulli tut es im Winter auch.

Der Beruf passt, aber es ist schon der zweite.

Familie ist alles. Aber manchmal liegen die Nerven, wie bei den Steckdosen, so was von blank.

© Elisabeth Bertsch 2025-04-29

Genres
Humor& Satire
Stimmung
Unbeschwert, Lighthearted, Funny
Hashtags