Erwin Wurm: Narrow House

friederike kommer

von friederike kommer

Story

Man kann es betreten, das Narrow House von Erwin Wurm, sofern man den Bauch einzieht. Auf 1,1 Meter Breite zusammengestaucht steht der Prototyp des steirischen Einfamilienhauses 7 Meter hoch, zu meiner Überraschung, im ehrwürdigen Jahrhunderte alten Gewölbe der Chapelle du Centre de la Vieille Charité in Marseille. Der Kontrast zum Ausstellungsraum aus dem 17.Jh verstärkt die Wirkung des Kunstobjekts. Einrichtung und Utensilien des Narrow House sind dem veränderten Maßstab angepasst und einzeln von spezialisierten Werkstätten angefertigt. Die Badewanne aus Porzellan bietet eventuell einer armdicken Schlange Platz. In die Badeschlapfen davor könnte man gerade mal mit einem Finger schlüpfen. Auf dem massiven Tisch – die Tischplatte ist fast so dick wie breit – steht eine zusammengequetschte Schale mit ebenso zusammengedrückten Früchten. Sehr sauber ist es in dem Haus, wirklich tadellos. Verschlossen und ausgrenzend auch. Lebendig empfinde ich es nicht. My home is my castle. Gemeint ist die Enge als Symbol für kleinbürgerliche Häuselbauerei. Diese Aussage hat der Künstler treffend umgesetzt.

Es ist meine zweite Begegnung mit dem Narrow House von Erwin Wurm. Schon 2010 war es mit anderen Objekten des Künstlers im Essl Museum in Klosterneuburg Gegenstand der Ausstellung PRIVATE WURM. Das Essl Museum habe ich oft besucht und dort viel bei den Führungen und Ausstellungseröffnungen über zeitgenössische bildende Kunst gelernt. Dieser schöne Ort für die Kunst mit seinen großzügigen, hellen Ausstellungsräumen, der Terrasse mit Blick auf das Stift Klosterneuburg und der guten Gastronomie existiert leider nicht mehr.

Aber nun bin ich in Marseille. Die Vieille Charité liegt auf dem Hügel des alten Viertels Le Panier. Vom alten Hafen führen Stufen und schmale Gassen bergauf, kleine Läden und Galerien laden zum Hineinschauen ein, auf Fensterbänken und Balkonen ranken sich bunte Blumen. Es sind kaum Fremde unterwegs. Wir genießen das künstlerische Flair. In Hinterhöfen verstecken sich kleine Ateliers. Dort kann man die Künstler treffen und beim Malen zuschauen. Immer wieder halten wir an und fotografieren die Graffiti, die uns von den Häuserwänden ansprechen. Sie sind originell und von bemerkenswerter künstlerischer Qualität. Nicht verborgen bleibt uns die Ambivalenz, die sie gegenüber Touristen zum Ausdruck bringen. “Tourists go home” lesen wir auch. An diesem Vormittag im Juli 2019 sind wir hier die einzigen, die sich in der Hitze die Stufen hinauf mühen. Aber ich denke an die riesigen Kreuzfahrtschiffe, die zur gleichen Zeit unten in den neuen Hafen einlaufen. In Anbetracht der Menschmassen, die sich aus ihnen auf die Stadt ergießen, kann ich die Bewohner des pittoresken Le Panier mit seinen bescheidenen engen Gassen durchaus verstehen. Gegensätze, die nicht nur in Marseille aufeinander treffen.

Zeit und Raum den leisen Zwischentönen geben, das ist mir wichtig, wenn ich reise.

foto fk.

© friederike kommer 2021-02-06

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