Meine Vorfahren, -fahren ist gut, meine VorgĂ€nger, stammen vom Berg oben, vom Glanz. Das ist eine Anhöhe ĂŒber dem MillstĂ€ttersee. Glanz ist ĂŒbrigens meiner Meinung nach ein Wort, das aus der Zeit stammt, bevor Slawisch, Romanisch und Germanisch auseinander drifteten. Also eventuell Indogermanisch. Englisch glance (Blick), Russisch gladjet (schauen)⊠nur so nebenbei. Bildungsauftrag.
Also daher bin ich von (Hochdeutsch). Obwohl im Fremdenverkehrstale geboren. Wir waren oft oben. Immer, wenn sich eine Mitfahrgelegenheit bot. Und sonst halt zu FuĂ. Mit langem Gesicht den streitenden oder schweigsamen Eltern hinterher rangelnd.
Mutti, die, als wir nach Graz zogen, auch sehr oft auf Besuch war, durchaus auch wochenlang, kam immer ins ErzĂ€hlen, wenn sie lĂ€nger blieb. Das war wirklich schön, wenn alle AlltĂ€glichkeiten besprochen waren und wir Zeit fĂŒr tiefgehendere GesprĂ€che hatten.
Einmal erzĂ€hlte sie, dass sie oft bei der Muatta, so nannte sie ihre Oma, beim Eada obn (Bauernhof vlgo Eder, beim Eder-Kreuz, eine echte âLandmarkâ) gewesen ist. Die Ederin war bekannt als lustige âKandlâ, an Wochenenden war ihre Stube sowas wie ein Gasthaus. ErzĂ€hlte mein Papa. Die Eadaren hot sölba gonz gern a Schnapsl getrunken, hat er gemeint. Und zwischen den Zeilen stand: Da war sie nicht die einzige Frau in der von mir angeheirateten (angeheiterten) Familie. Auch das nur nebenbei. Zwengs der AtmosphĂ€re.
Mutti war also viel bei ihrer Oma-Muatta. Sie âpenzteâ oft, dass sie zu Weihnachten auch in die Christmette mitgehen möchte. Alle gingen los weit vor Mitternacht, nur sie durfte nie. Und die Szenerie muss 1:1 wie in Peter Roseggers Alpl-Heimat gewesen sein. Tiefer Schnee, steile Wege, schwarze Nacht, EiseskĂ€lte, Fackeln. Litaneien. Irgendwann durfte sie mit. Und hat es sofort bereut.
Das war nichts fĂŒr ein 4- oder 5-jĂ€hriges Kind. Zwar hat sie es geschafft, die weite Strecke, mehr stolpernd als gehend. In der Kirche in St. Paul schlief sie dann sofort ein. Noch brutaler war, als sie aus dem tiefsten Schlummer herausgerissen wurde und den ganzen weiten, kalten Weg zurĂŒck musste. Ich fragte sie: HĂ€tten sie dich ganz alleine in dem groĂen Eadarischn Bauernhaus gelassen? Na, es Anggele hot eh imma auf mi aufgepasst.
Da hörte ich erstmals dieses Wort und dass ich ein Anggele hatte. Ich vermute, dass das meine UrurgroĂmutter war. Mutti erzĂ€hlte auch von einem Ahndl (dieses Anggele?), das da oben trotz fehlender Cholesterin-PrĂŒfstelle 100 Jahre und 113 Tage alt wurde. Sogar die Knappenkapelle aus Bleiberg ist zu ihren Ehren beim BegrĂ€bnis aufmarschiert! Wie die wohl auf den Glanz gekommen sind damals? Eppa gor a z’FuaĂ?
Fotos gibt es keine vom Anggele. Aber vielleicht ist sie doch die schemenhafte Gestalt im linken Fenster, die ich kĂŒrzlich beim Hineinzoomen ins alte Haus entdeckte? RĂ€tsel ĂŒber RĂ€tsel tun sich auf, wenn eines Tages das Interesse an der Herkunft erwacht und alle, die man fragen könnte, nicht mehr sind. Kinder, tuats frogn!
© 2020-08-06