Es geht mir gut, danke

Tamara Murowatz

von Tamara Murowatz

Story

Du fragst mich wie es mir geht und ich überlege kurz, ob ich dir die Wahrheit erzählen soll oder nicht viel lieber das, was du hören willst. Welchen Preis bezahle ich für die Wahrheit? Ich entscheide mich dir das zu sagen, was du hören willst und sage „es geht mir gut, danke“ ohne es zu meinen. Doch würde ich dir sagen, wie es mir geht, würde es nichts ändern. Die Leute fragen nicht danach, weil sie ehrliches Interesse hätten, sondern weil es höflich ist, also gebe ich eine höfliche Antwort. Die Antwort, mit der jeder leben kann. Es geht mir gut, danke.

Doch es geht mir nicht gut, seit Wochen schon nicht und ich gerate von Mal zu Mal ins Straucheln, weil ich diese Lüge nicht mehr tragen will. Dann fange ich an nicht mehr auf Nachrichten zu antworten, bleibe für mich alleine, weil es niemanden gibt, der versteht wie es mir geht – und auch niemanden, den es wirklich interessiert. Nach drei Tagen hab ich dann acht verpasste Anrufe, 84 ungelesene Nachrichten aus sieben verschiedenen Chats und als du das vierte Mal anrufst, gehe ich endlich ran. Du bist wütend, aber eigentlich bist du nur besorgt, denn du hast mich seit Tagen nicht erreicht und sagst, dass das nicht zu mir passt. Was ich gemacht habe, wo ich war, all diese Dinge fragst du mich, aber du fragst mich nicht wie es mir geht.

„Es geht mir nicht gut“, bringe ich endlich über meine Lippen und für einen Moment bist du ganz leise. Als hätte ich gesagt, jemand sei gestorben. Und dann fragst du, was mir fehlt und es sprudelt nur so aus mir heraus, ganz genau wie meine Tränen im selben Moment. Und ich erzähle dir, dass ich das Gefühl habe zu ersticken und dass der Mut, den es morgens braucht, um aus dem Bett zu kommen, enorm ist. Es geht mir schon so lange so schlecht und ich habe das Gefühl gänzlich in der Dunkelheit zu verschwinden, weil ich die Last auf meinen Schultern nicht mehr tragen kann. Ich fühle mich alleine und hilflos und als wäre alles, was ich mache falsch. Ich hab Angst vor diesem Gefühl und dieser Hoffnungslosigkeit und alles, was ich möchte, ist das es endlich aufhört. Ich möchte, dass dieses schwere Gefühl in meiner Brust aufhört und ich möchte keine Angst mehr vor dem Schlafengehen haben, nur weil ich weiß, dass ich am nächsten Morgen auch wieder aufwachen muss.

Du hast kein Wort gesagt seitdem ich angefangen hab zu weinen und dieses Weinen geht in ein verzweifeltes Schluchzen über, dass ich selber kaum ertragen kann. Du findest deine Stimme wieder und sprichst ganz ruhig zu mir. Du sagst, dass es dir leid tut und dass du nicht gesehen hast, dass es mir so geht. Alles würde wieder gut werden, wir bekämen das schon hin, ich sei nicht alleine. Deine Worte sind wie eine Umarmung und zumindest für einen Moment spüre ich Erleichterung und hab das erste Mal seit Wochen das Gefühl, dass diese Last nicht alleine auf meinen Schultern liegt.

© Tamara Murowatz 2023-12-15

Genres
Lebenshilfe
Stimmung
Dunkel, Emotional, Traurig