Es gibt keine Probleme mehr

Story

Ist es euch auch schon aufgefallen, dass die Probleme verschwunden sind? Nirgendwo hört und liest man noch von Problemen, nicht einmal in den verschiedensten Medien, und man bemerkt es auch schon, wenn man mit Leuten spricht, die einem vor ein paar Jahren noch liebend gerne von ihren zahlreichen Problemen berichteten, denn sie haben die Probleme gestrichen, zumindest aus ihrem Wortschatz. Denn nun haben wir etwas ganz Neues, wir haben nämlich jetzt Herausforderungen, auf Neudeutsch auch Challenges genannt. Höchstens alte Leute, die den Trend noch nicht richtig mitgekriegt haben, reden noch von ihren Problemen.

Wir haben jetzt also Herausforderungen, wobei ich mich frage, ob es da einen Unterschied gibt. Ist es schlimmer, ein Problem zu haben oder eine Herausforderung?

Aber Achtung, hier fängt es schon an! Ein Problem hat man, eine Herausforderung hat man nicht, besser gesagt, sagt man nicht, dass man eine Herausforderung hat, sondern dass man eine Herausforderung sieht, dass man sich einer Herausforderung stellen muss, dass man mit einer Herausforderung konfrontiert ist. Das ist schon etwas anderes. Das Problem hat man, man besitzt es quasi, es ist bei einem. Eine Herausforderung sieht man eher vor sich, man sieht sie als ein Gegenüber, eine Art Gegner, dem man Aug´ in Aug´ entgegentritt, aber irgendwie mit Abstand. Ein Problem ist eine Art Ding, eine Herausforderung ähnelt eher einer Person, nämlich einem Herausforderer. Das Wort kommt tatsächlich aus dem Kampf. Einen “Problemer” gibt es nicht, jedenfalls nicht als Wort.

Und was macht man mit einem Problem? Richtig, man löst es. Probleme sind dazu da, gelöst zu werden. Man löst ein Problem und dann ist es weg, so hofft man. Dann hat man es eben nicht mehr.

Aber wie geht man mit einer Herausforderung um? Man löst sie nicht, man bewältigt sie. Mehr fällt mir sprachlich dazu nicht ein. Man steht ihr zwar gegenüber wie dem Gegner im Boxring, aber man sagt nicht, dass man sie besiegt. Im Bewältigen sieht man auf den ersten Blick durchaus viel Positives, aber es steckt immerhin das Wort Gewalt drin. Im Lösen eines Problems steckt das harmlosere los drin, man ist das Problem los. Und das wollte man ja auch.

Aber kommt es nur mir so vor, als würde man eher selten davon sprechen, dass man eine Herausforderung bewältigt hat? Ich höre immer nur, dass es Herausforderungen gibt, aber werden sie am Ende gar nicht mehr gelöst, indem man an sie herangeht wie an ein Problem, bei dem man eine sogenannte Problemlösungsstrategie anwendet? Hat man schon einmal etwas von einer Herausforderungsbewältigungsstrategie gehört? Ich jedenfalls nicht, und ich frage mich, ob es nur daran liegt, dass das Wort so lang ist, aber das Deutsche fürchtet gemeinhin keine langen Wörter. Liegt es vielleicht eher daran, dass man gar nicht mehr daran glaubt, mit Herausforderungen überhaupt fertigwerden zu können, woraufhin sie dann eben weg wären, genau wie die guten alten Probleme, wie man sie früher einmal hatte?

© 2022-04-16