Es ist ein Unfall. Von einer Sekunde auf die andere ist alles anders. Gerade noch gemeinsam lachen, dann Tiefschwarz. Gerade noch Urlaub und Unbeschwertheit, mit einem Schlag alles vorbei. Es ist der letzte Tag, das letzte Angaloppieren, hundert Meter vor dem Ziel. Er ist hinter mir, ich merke es an den Blicken der anderen, dass etwas nicht stimmt, drehe mich um, er liegt am Boden, mein Pferd ist nervös, ich weiß nicht mehr, wie ich es schaffe herunter zu kommen, meine Beine versagen, sie sind müde nach dem langen Ausritt, die zwanzig Meter werden zu einer fast unüberwindbaren Distanz. Ich lasse mich neben ihn fallen. Mir fehlen die Worte. Warum sage ich nichts. Die anderen reden auf mich ein, sagen, ich soll mich mit ihm unterhalten, ihn bei Bewusstsein halten. Ich kann nicht. Dieser Blick. Er weiß, dass er gehen wird. Ich sehe es in seinem Blick. Und ich habe keine Worte.
Ich war es, die den Vorschlag gemacht hat, reiten zu gehen. Hubschrauber. Krankenhaus. Koma. Der Versuch, sein Leben zu retten. Ich bin nicht dort, als er seine Augen noch einmal öffnet. Man sagt mir, ich soll nicht kommen, er braucht Ruhe. Ich sehe seine Augen nie mehr. Irgendwoher dringen Stimmen an mein Ohr, die mir sagen, ich soll mich von ihm verabschieden.
Verabschieden. Wie soll ich mich verabschieden? Wieder keine Worte. Keine Tränen. Das Bedürfnis, ihn zu umarmen, mich an seine Seite zu legen, nie mehr wegzugehen. Ich bewege mich nicht. Mache nichts. Bin abgeschnitten, von mir, von der Welt. Rundherum das Treiben einer Intensivstation. Ich soll mich verabschieden. Wie? Heute weiß ich, dass es keinen Abschied gibt. Es hätte sie nicht gegeben, die richtigen Worte, ich hätte nie das Richtige sagen, nie das Richtige tun können. Es wäre immer zu wenig gewesen, nie genug. Weil es eine absolute Unmöglichkeit und letztlich nicht notwendig ist. Es gibt keinen Abschied, die Verbundenheit bleibt. Für immer und zu allen Menschen die unseren Weg kreuzen, uns begleiten, weitergehen.
Und es gibt keine Schuld. Es ist der Verlauf der Dinge, wir wären dieser Situation nicht entkommen. Dieser Tag war vollkommen anders geplant, wir hätten eigentlich ganz wo anders sein sollen, aber wir waren da, wir haben viele Hürden überwunden, um genau da zu sein. Es musste passieren. Es wäre sonst anders passiert. Es war Zeit für ihn, die Welt zu verlassen. Der Mensch, der geht, weiß das, davon bin ich überzeugt, nur die, die zurückbleiben, müssen das erst lernen. Ich brauchte über zwei Jahrzehnte dazu.
© Silvia Mathilde Franz 2021-05-04