von Musenzeit
„Alles nur ein Obst-Problem: Es hängt in der Birne.“ Der Spruch schallt mir aus einer Dokumentation entgegen. Oha. Aber Hallo. Jetzt ist also Obstzeit.
Mein Sommer in der Horizontalen gestaltet sich demnach als gärtnerische Herausforderung der besonderen Art: Was für eine Birne hängt denn da so rum in meinem Obstgarten „da oben“?
Nach unfreiwilligen Tagen im Bett habe ich es mir nun im Hof auf dem Liegestuhl bequem gemacht, mit Blick auf die begrünte Pergola. So sehen also echte Farben aus, so unverschämt frisch ist alles hier draußen, dass ich kaum wage zu atmen. Da hängen über mir pralle Trauben und zarte Blätter im Gegenlicht, eifrig verschlungen im Tanz um einen Platz an der Sonne. Spatzen picken an den kleinen Früchten und stecken ihre winzigen Köpfchen ab und zu zwischen die Blätter nach unten, um dieses seltsam ruhige, liegende Wesen unter ihnen zu begutachten. Nur einen Augenblick dauert das Schauen, dann geht es weiter mit Fliegen, Piepen, Fressen, Hüpfen, Plustern, Revierverteidigung.
Ich schaue lange in diesen Tagen. Auf alles um mich herum. Tun kann ich nicht besonders viel, der heftige Schmerz bei kleinsten Bewegungen macht mir seit Tagen Striche durch jegliche Aktivitäten körperlicher und auch geistiger Art. Also fahre ich die Gänge herunter, einen nach dem anderen. Staune über all das, was da so rumort. Die Birne abkühlen. Das dankt mir dann auch mein Körper. Er dampft aus, entkrampft, schüttelt und verabschiedet Nicht-Brauchbares. So wie mein Geist alles ziehen lässt, was war, manchmal nur widerwillig. Da fliegt, piept, brummt, schnattert und brüllt es. So ein alter Ärger zum Beispiel gibt ja lange schön Wärme ins System, aber die Birne mag das einfach nicht so warm – und der Rest eigentlich auch nicht, meldet mir mein Körper deutlich. Also weg damit. Aber wohin? Joggen geht nicht, zum Motzen bin ich einfach zu müde vom fehlenden Schlaf, schreibend fluchen ist irgendwie seltsam unbefriedigend, und auf Weltgeschehen und Politik zu schimpfen machte mir noch nie besonders Spaß. Irgendwo in der Bibel las ich einmal etwas von einem Heiligen Zorn, aber in meinem Körper fühlt sich so ein Zustand nicht besonders heilig an. Ich mag Birnen auch lieber frisch als eingekocht. Obwohl – so werden sie ja eigentlich länger haltbar, oder? Ich überlege also, mir doch noch ein wenig Heiligen Zorn zum Einkochen meiner Birne als eine Art Altersvorsorge zu gönnen, das Thema wird sich bestimmt noch zeigen.
Aber heute will mir das nicht so gelingen. Selig dankbar liege ich einfach da und atme diese frische Luft, spüre die Sonnenwärme, staune über die Wolkenformen und die betörenden Grüntöne der Blätter, über die Kunstflüge der Schwalben. Ein Grashüpfer in Zartfrischgrün landet auf meinem Knie. Ich bin gerührt über seinen Besuch und beneide seine Sprungtalente, von dem mir ein winziger Bruchteil genügen würde. Ja, bitte. Danke. Eine frische Birne, ja, das mag ich. So hängt sie gut da oben.
© Musenzeit 2020-08-19