Es ist nicht das, wonach es aussieht

Benni Nachtigal

von Benni Nachtigal

Story

„Wer ist Josi?!“ Erschrocken hebe ich den Kopf und starre direkt in Lauras blitzende Augen. Verwirrt runzele ich die Stirn. Laura ist meine Ex-Freundin, ich habe sie über Jahre nicht gesehen. Allerdings schien mir das hier unwirklich. Ich habe eine anstrengende Woche hinter mir. Mein Vater meinte, mir wieder den Haushalt überlassen zu müssen. Außerdem sollte ich für meine Geschwister sorgen, damit er Spaß im Urlaub hat. Mein Chef war der Meinung, dass ich den Personalmangel ausbügeln darf und 40 Kinder gleichzeitig betreue. Dabei war ich so im Stress, dass ich Josi nur jeden Abend eine Nachricht geschrieben habe. Jetzt saß ich hier am Freitagabend auf einer Bank im Schlosspark und lese ein Buch. Ich blinzelte stark, doch Laura verschwindet nicht. Ihr Blick durchbohrt mich noch immer. Ich seufze. „Was?“, erkundigunge ich mich verwirrt und klappe das Buch zu, da ich ihre Frage schon wieder vergessen habe. „Du hattest zu mir gesagt, dass du auf mich wartest!“, faucht Laura. „Wie? Ich soll auf dich warten, wenn du mir Beleidigungen an den Kopf schmeißt und dann deinen Freund auf mich hetzt, der mich ins Krankenhaus prügelt? Woher willst du wissen, dass ich nicht gewartet habe? Oder noch immer warte? Und wie kommst du überhaupt auf den Namen Josi?“ Ich bin dabei aufgestanden und funkele sie jetzt wütend an. Das Buch habe ich auf der Bank liegen lassen. Laura schmeißt mit wucht etwas quadratisches Kleines auf die Bank. „Dein Scheiß-Buch ist überall und in jedem Kapitel steht ihr Name!“ Meine Augen weiten sich, als ich erkenne, was sie auf die Bank geschmissen hat. Ich lache leise auf. „Du hast mein Buch gelesen? Das freut mich. Gefällt es dir?“ Mein Grinsen kann ich nicht verbergen. „Ach, halt die Klappe. Ich habe noch nie etwas Schlechteres gelesen als den Rotz da!“ Wütend zeigt sie auf das Buch. „In jedem Kapitel?!“, zitiere ich sie forsch und hebe eine Augenbraue. „Okay, ja ich habe es 15-mal gelesen und ich würde gerne mehr davon lesen … weil ich dich vermisse … mich an die guten alten Zeiten erinnere. Ich vermisse dich, du Vollidiot.“ Ich muss schlucken, als ich diese Worte aus ihrem Mund höre. Hat sie das wirklich gesagt? „Benjí?“ Josis Stimme erklingt und mir gefriert mein Blut. Erschrocken wirbele ich herum. Josi steht sieben Meter vor mir und ihre Augen liegen direkt auf mir. „Benjí? Schatz, das musst du mir jetzt aber erklären! Gehst du mir etwa fremd?“ Lauras Stimme ist nun zuckersüß. „Klappe, Laura!“, knurre ich und drehe mich zu ihr, nur um sie wütend anzusehen. Was fällt ihr bitte ein? Ich habe jetzt echt keine Kraft dafür! „Was wird das? Kannst du bitte deine Nase aus meinen Angelegenheiten halten? Hast du die letzten Jahre auch geschafft!“ Mein Blick wandert wieder zu Josi, doch Josi kommt direkt auf mich zu. Ihre Mimik kann ich gerade nicht lesen, und ich bekomme Panik. Was wird sie tun? Wird sie mich schlagen? „Josi, es ist nicht das, wonach es aussieht“, meine ich ehrlich. Doch Josi interessiert das offensichtlich nicht. Direkt vor mir, bleibt sie stehen, legt die Arme in meinen Nacken und sieht mir tief in die Augen. „Du solltest dem Chef mal die Meinung sagen und deine Grenzen aufzeigen, mein Prinz“, lächelt sie aufmunternd und verbindet dann unsere Lippen überraschenderweise miteinader. Automatisch erwidere ich den Kuss, schließe ich die Augen und ziehe sie an der Taille näher an mich heran. Wie sehr ich sie vermisst habe.

© Benni Nachtigal 2023-08-27

Genres
Romane & Erzählungen, Humor& Satire
Stimmung
Herausfordernd, Emotional, Hoffnungsvoll, Reflektierend, Angespannt
Hashtags