es lebe der Zentralfriedhof

frischequelle

von frischequelle

Story

Sang schon der unvergleichliche Ur-Wiener Wolferl Ambros. Das und alljährlich zu Allerheiligen wiederkehrende ORF-Sendungen über diesen wundersamen Ort haben in mir den Wunsch geweckt, irgendwann einmal diese Gedenkstätte zu besichtigen.

Vergangenen Mittwoch war es so weit. Ich besuchte nach der langen Corona-Zeit wieder einmal das Grab meiner Schwiegermutter am Kagraner Friedhof und fuhr anschließend zum Zentralfriedhof in Simmering. Angenehm überrascht fand ich vor Tor 2 einen kostenlosen, schattigen Parkplatz und wusste so meine dösende Hündin für eine geplante Stunde sicher und bei angenehmen Temperaturen versorgt.

Mit einem gleich beim Eingang um 2 € erhältlichen Lageplan ging ich auf Erkundungstour. Fasziniert von den riesigen Marmorfiguren in den vorderen Alten Arkaden, stellte ich fest, wie multikulturell Wien schon immer gewesen sein musste. Fremdsprachig klingende Namen, längst vergessene alte Titel aus der Kaiserzeit und denkwürdige Grabinschriften auf beeindruckenden Mausoleen und kostbar verzierten Marmortafeln ließen mich immer wieder zur Kamera greifen. Hier spiegelte sich Geschichte wider.

Durch die langen schattigen Baumalleen wandernd, überholten mich sonderbarerweise Jogger, Biker, aber auch kleine Busse und Pferdegespanne, die Besucher zu Sightseeing Touren herum kutschierten.

Das Gelände ist unglaublich weitläufig und man kann sich, je länger man geht, der magischen Stimmung an diesem Trauerort nicht lange entziehen. So viel Natur inmitten einer Weltstadt. Uralte Platanen, verkrüppelte Trauerweiden und riesige Lebensbäume geben unzähligen Tieren Schutz. Da und dort Wassergeplätscher.

Dem Lageplan entnahm ich, dass der Zentralfriedhof seit 150 Jahren besteht, mehrmals erweitert wurde und für Christen, Juden, Islam und Buddhismus interkonfessioneller Ruhepunkt ist. Geschätzt wurden hier schon 3 Millionen Tote bestattet.

Unverhofft treffe ich auf Menschen, die vor einem mit Blumen und Kränzen übersäten riesigen Grabmal aus pechschwarzem Marmor zusammenstehen. Sie speisen, bechern und singen. Ich traute meinen Augen kaum, aber vor dem frischen Grab wurden auf zwei langen, schwarz gedeckten Tischen Kuchen, Torten, Strudel, Gebäcke und ähnliches angeboten. Eine Reihe von Getränken, auch Sekt!!!, stand ebenfalls bereit und die Trauergäste prosteten dem Grab und sich gegenseitig zu. Kinder sprangen mit bunten Luftballonen herum und zwischendurch wurden immer wieder mir unbekannte traurige Melodien intoniert. Es lebe der Zentralfriedhof mit olle seine Totn. Erst aus sicherer Entfernung wagte ich es, diese Absurdität zu fotografieren.

Die Zeit war viel zu schnell vergangen. Ich musste zurück. In der Konditorei Oberlaa, deren Terrasse sich zum Friedhof hin öffnet, genehmigte ich mir Sacherwürstl und einen Pfiff Bier, bevor ich zu meiner schlummernden Lotti zurückkehrte.

Ich komme wieder, denn ich habe noch keines der Ehrengräber gesehen.

© frischequelle 2022-10-24

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