von Jana Puschmann
Angeblich haben Menschen aus Münster in Westfalen die meisten Verben für „regnen“. Darüber scherzte zumindest mal ein Kabarettist in Regensburg. Angeblich weil es in Münster so viel regnet. Angeblich regnet es im Schwarzwald viel weniger und im Kaiserstuhl zählt man sogar die meisten Sonnenstunden Deutschlands. Angeblich.
Denn jetzt liege ich mit meinem Bruder im Zwei-Mann-Zelt – er quer, weil er fast zwei Meter misst; ich im übrig gebliebenen Dreieck – und kann nicht einschlafen, weil Regen auf das Dach tröpfelt. Es ist kein gleichmäßiges Rauschen wie bei einem Schauer, es ist eher ein unstetes, nervtötendes Platschen dicker Wassertropfen, die dann an der Zeltwand abperlen und lautlos im Gras verschwinden. Ich drehe mich zu meinem Bruder um, will ihn fragen, ob er schon schläft, da gibt mir ein lauter Schnarcher die Antwort.
„Super“, entfährt es mir leise. Ich rücke mein Kopfkissen, so gut es geht, von der Zeltwand weg, damit es nicht nass wird. Denn egal, als wie dicht dir ein Campingzelt verkauft wird, die Feuchte des Bodens zieht irgendwann die Wände hinauf. Und dann wacht man morgens auf einem klammen Kissen auf und die Haare riechen nach nassem Hund.
„Toller Urlaub“, denke ich. Der Regen wird stärker. Es tröpfelt nicht mehr, es pladdert. Die Eiche, die halb über unser Zelt ragt, lässt mittlerweile einige Tropfen durch das dichte Blattwerk. Dann grummelt es in der Ferne. Immerhin etwas. Vielleicht ist es nach einem Gewitter nicht mehr so schwül. Ich drehe mich auf die andere Seite und blicke nun meinem Bruder ins Gesicht. Wieso kann er bei dem Regen schlafen? Soll ich noch lesen? Mit Taschenlampe im Schlafsack? Nein, zu heiß! Ich versuche, den Regen auszublenden. Mich irgendwie ins Reich der Träume zu begleiten. Und schließlich will der Regen mir sogar helfen. Es gießt inzwischen, schüttet wie aus Eimern – der Münsteraner sagt auch „plästern“. Nun habe ich das stete Rauschen, das monotone Nass von oben und kann endlich einschlafen. Krach! Der Donner ist so laut, dass ich die Luft anhalte und fast aufschreie. Heimlich hat sich die Gewitterfront genähert. Ich zähle mit angehaltenem Atem, um herauszufinden, wie weit es noch entfernt ist. So wie es mir mein Vater beigebracht hat. Nur fünf Kilometer! Krach! Der nächste Donner. Dann erleuchtet ein Blitz das Zelt. Mein Bruder schläft. Ich gebe auf, setze mich hin und krame nach meiner Urlaubslektüre. Ich lese drei Kapitel, bis aus dem heftigen Regenguss ein feiner Niesel geworden ist und das Donnern wieder nur ein Grummeln in weiter Ferne ist. Irgendwann kann ich die letzten Tropfen, die durch das Blattwerk der Eiche dröppeln, zählen.
Dann ist es still. Aufatmen! Ich lege das Buch an meine Füße, knipse die Taschenlampe aus, bin dankbar, dass mein Bruder leise atmet, und – bin bereit! Noch einmal horche ich. Kein Tropfen mehr. Gute Nacht!
Nach einer halben Minute muss ich der Wahrheit ins Auge sehen. Ich muss pinkeln.
© Jana Puschmann 2022-05-15