Es schneit! 3 (Kind-Ich)

Gabriele_Krele-Art

von Gabriele_Krele-Art

Story

Dicke, weiße Flocken schweben vom Himmel, landen auf den Fensterscheiben und schmelzen dahin. „Ich muss die Flocken einfangen“, denke ich, „sofort, sonst versäume ich das Schönste vom Winter!“ Es ist genauso wie damals, als ich noch ein Kind war. „Raus mit euch! Baut einen Schneemann!“, rief unsere Mutter und stellte mir Pelzschuhe vor die Nase. „Die ziehst du an, sonst bekommst du nasse Füße, und den dicken Anorak. Haube und Handschuhe nicht vergessen!“ Schon stand ich im Garten inmitten einer weißen Märchenlandschaft.

Ich schlüpfe in meinen Wintermantel und meine Boots. Ein paar Minuten später stehe ich im Garten meiner Erinnerung. Ich strecke meine Arme aus und hebe meinen Kopf. Die Schneeflocken tanzen auf meiner Nase. Ich spüre, wie die Eiskristalle über meine Wangen gleiten, wie Freudentränen. Langsam lasse ich mich auf den Boden fallen und versinke in der Schneedecke. Herrlich! Im nächsten Moment ergreife ich einen Schneeklumpen und forme ihn zur Kugel. Ich rolle sie kreuz und quer durch den Garten. Als ich den Koloss kaum noch von der Stelle bringe, beginne ich das Spiel von Neuem. Die zweite Kugel wuchte ich auf den großen Schneeball. Zwei Augensteinchen, ein Stöckchen für die Nase und 2 Zweige als Arme sind schnell gefunden. Göttlich sieht er aus, der kleine Mann mit dem Pinocchio-Näschen. Ich mache einen Kniefall vor ihm. „Herzlich willkommen in meinem Schneereich! Wie lange gedenkst du zu bleiben?“ frage ich ihn. „Solange du es möchtest“, flüstert der Schneemann und zwinkert mir zu. In diesem Augenblick wünsche ich, dass er für immer bleibt. Der Gast aus meiner Kindheit durfte nicht dahinschmelzen, eher wollte ich vor ihm dahinschmelzen, vor Glück. Wann habe ich das letzte Mal einen Schneemann gebaut? Ich erhebe mich mit Schwung und Euphorie und tanze um das Schneemännchen.

„Wer steht denn da in meinem Garten?

Ein Männchen, ganz in Weiß.

Ich kann nicht länger warten,

tanz` rundherum im Kreis,

da schmunzeln selbst die Bäume

mir ist`s als ob ich träume.“

Immer und immer wieder trällere ich den Refrain, bis mir die Luft ausgeht. Außer Atem und mit klammen Fingern unter meinen Fäustlingen sinke ich abermals in den Zauberschnee. Der heiße Atem steigt als Siegesrauch über die Vernunft in den Himmel. Meine Wangen fühlen sich heiß an. Was für ein Gefühl! Ich will Kind sein. Nicht nur für diesen Augenblick. „Sei mein Freund und bleib!“, beschwöre ich den kugeligen Mann.

Plötzlich läutet etwas in meiner Manteltasche. Es ist das Handy. Widerwillig greife ich zu diesem Störenfried, der mich abrupt aus meinem Spiel reißt. „Ja, hallo. Was gibt es? Ja, natürlich. Erledige ich für dich“, antworte ich meiner Mutter.

„Wir sehen uns bald wieder!“, erinnere ich meinen Freund an sein Versprechen. Dann kehre ich zurück ins Haus. Seine Steinaugen werden ganz weich, als fühlte er, was ich fühle. Und wenn ich mich nicht täusche, schmälern ein paar geschmolzene Schneeflocken seine eben noch prallen Wangen.

© Gabriele_Krele-Art 2022-12-13

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