Es war einmal

Elisabeth Laback

von Elisabeth Laback

Story

Die Sonne schaffte es jedes Jahr wieder, den alten Autobus zur Ferienzeit zum Singen zu bringen. Die Erinnerung an sein Lied der rollenden Räder aus dem Jahr zuvor hatte die Reiselust beim Mann und der Katze ohnehin immer, bei der Frau auch fast immer und bei den zwei Söhnen auch noch immer wieder einmal erweckt. Diese Erinnerung an die vielen gemeinsamen Erlebnisse hatte den zwei Söhnen die Trennung von ihrer Kindheit, der Katze und dem alten Autobus nicht wirklich leicht gemacht.

Die Erinnerung verwandelt noch nach all den Jahren die Dankbarkeit in Freude, dabei gewesen zu sein.

Dabei gewesen zu sein

… wenn des Nachts am Ufer des Teiches die Räder im schlammigen Boden versinken … wenn die Katze dem Autobus in der Ewigen Stadt vier Katzenkinder schenkt … wenn die Frau an der Tankstelle allein zurückbleibt und es keiner bemerkt … wenn der Bauch des Fährschiffs über den Kanal für den Autobus zu klein ist … wenn der Tunnel im hohen Norden seiner Höhe nicht gewachsen ist … wenn der Zöllner ein Kilo Kaffee braucht, damit der alte Autobus die Grenze passieren darf … wenn ihm am helllichten Tag unbemerkt die Fahrräder samt Ständer abhanden kommen … wenn er an der Bushaltestelle für einen gewöhnlichen Linienbus gehalten und als solcher bestiegen wird … wenn einer seiner gefühlt frauhohen Reifen auf einer steilen Passstraße gewechselt werden muss … wenn die Strümpfe der Frau seinen Keilriemen ersetzen müssen … wenn dann seine Zeit gekommen ist.

Plötzlich war die Erinnerung an den Friedhof für Lastwagen wieder da, auf dem sein erstes Leben geendet hatte. Die bloße Vorstellung daran lehnte der Mann mit den zwei Söhnen und der Frau entschieden ab. Die Katze hatte sich zur Verwunderung aller als erste an das Leben im Wandel der Zeit angepasst. Eingedenk der weisen Worte, dass alte Liebe nicht rostet – was im Falle des alten Autobusses nicht ganz stimmte – stellte man ihn auf dem Parkplatz vor dem Haus ab. Da stand er nun wie vor vielen Jahren, wo sein zweites Leben begonnen hatte. Das Haus war nicht gerade klein, aber der alte Autobus war groß. Und vielleicht war gerade das der Grundstein für das Ideenhaus im Kopf jenes Herrn, der schon öfter in der Umgebung gesichtet worden war. Die dritte Geburtsstunde war in greifbare Nähe gerückt, als die beiden Männer handelseins wurden. Schenkung gegen Abtransport.

„Abschiede müssen kurz sein wie eine Liebeserklärung“, zitierte die Frau Theodor Fontane und wischte sich die Träne von der Wange. Der alte Autobus rollte mit dem Herrn wie auf Schienen zur Fabrik. Der Herr und der Autobus kannten sich aus seinem ersten Leben. Der alte Autobus verdingte die Tage seines dritten Lebens als beliebter Würstelstand vor der Fabrik, wo alles begonnen hatte.

Den Schatz der Erinnerung mit dem Mann mit den zwei Söhnen, der Katze und der Frau behielt der alte Autobus für immer in seiner Seele. Die war ihm schon in der ersten Stunde von seinen Begleitern eingehaucht worden.

© Elisabeth Laback 2022-08-10