Es war einmal im alten Indien. Teil 4

Andreas Killmann

von Andreas Killmann

Story

Eines Tages kam ein schwarzer Prinz in die Stadt und begehrte eine Audienz bei der Königin Prajapati. Sie empfing ihn an einem trüben Wintermorgen, ein Morgen wie damals, als ihr Vater den verhängnisvollen Traum geträumt hatte. Der Prinz wunderte sich, denn wie immer war Prajapati in ein ärmliches Gewand aus Taubenfedern gekleidet. „Hohe Königin“, begann der schwarze Prinz zu sprechen. „Mein Vater, der unermesslich reiche Sultan Aladin hat erfahren, wie sehr ihr Not leidet und er bietet Dir seine Hand an. Er bittet Dich, seine Frau zu werden, und die reichste Königin der Welt zu sein.“ So sprach der schwarze Prinz. Da lächelte die Königin Prajapati und sagte: „Ich danke Euch, mein Prinz, aber ich kann den Reichtum Eures Vaters, mit dem er um meine Hand bittet, nicht annehmen. Wir hier in meinem Königreich halten uns an das Geben, und so ist immer genug für alle da.“ Der schwarze Prinz schaute erstaunt und schüttelte den Kopf. Die Königin musste verrückt geworden sein. „Verzeiht mir Königin, ihr habt nichts, was ihr meinem Vater geben könntet.“ Prajapati lächelte. „So ist es mein Prinz. Auch ich war einmal wie Dein Vater. Mir konnte nichts genug sein. Das, aber, hat mich arm und unglücklich gemacht. Das Geben allein, auch wenn man wenig hat, das ist der Gipfel des Glücks.“

Und die Königin Prajapati gab dem schwarzen Prinzen ein wenig grobes Garn und ein Säckchen mit Taubenfedern, und der schwarze Prinz ritt kopfschüttelnd zurück in sein Königreich.

Die Jahre vergingen und die Königin wurde alt. Immer häufiger träumte sie in der Nacht von einem Schiff, das sie besteigen würde, und das sie weit fortbrächte. Sie wusste, dass sie nicht mehr lange leben würde.

Das Glück im Gabenreich war groß wie eh und je, aber die Königin wurde traurig. Was würde geschehen, wenn sie das Schiff bestieg und ihr Volk verließ? Nach langem Grübeln beschloss sie, ein Gesetz zu erlassen. Auch künftig sollte es im Gabenreich immer so sein, dass man gab und nicht nahm. Und so wäre für immer und für alle genug da. Der Weise Kanzler schrieb dieses Ewige Gesetz auf und die Botschafter, Beamten und Richter der Königin verkündeten es auf den Straßen und im ganzen Land. Die Sänger sangen von der Weisheit der Königin und die Dichter rühmten sie mit immer neuen Versen.

Die Königin starb bald darauf, um die Wintersonnenwende, und das Gabenreich fiel in tiefe Trauer. Der Weise Kanzler führte die Geschäfte weiter und er achtet besonders darauf, dass das Ewige Gesetz seiner Königin eingehalten wurde: Geben, nicht nehmen.

© Andreas Killmann 2025-04-14

Genres
Spiritualität
Stimmung
Inspirierend, Reflektierend