von Günther Stark
(Weiter von ‚Esmeralda – 3‘, wo Henri während der Cholera in Paris einem Weib auf der Straße Geld anbietet.)
So stellte er sich jetzt vor, wie sie, während er nicht seinen skabrösen Blick von ihr nahm, verwirrt und unschlüssig auf das viele Geld in seiner Hand starrte, dann wieder ihn ansah, dann wieder auf das Geld, und dann wieder auf ihn. Da plötzlich erst schien ihr bewusst zu werden, worauf er es abgesehen und was ihn überhaupt auf den Gedanken gebracht hatte, – da sie reflexartig an ihrem über dem Gürtel gebauschten Hemd zu zupfen begann, um es sich über die bloßliegenden Brüste hochzuziehen.
Aber, da er nicht den Blick von ihr ließ und weiter ostentativ das Geld zeigte: Wieviel er denn für sie hätte? fragte sie halb dreist, halb zaghaft, indem sie ihn erst jetzt, frechen Schmerz in den Zügen, genauer in Augenschein nahm. Er überschlug kurz die Scheine in seinen Händen und nannte ihr dann einen Betrag, auf den hin ihr fast die Augen aus dem Kopf traten. Da spürte er fast körperlich, wie ihrer beider disparaten Begehrlichkeiten sich trafen, ihr stolzer Widerstand einknickte und sie nicht unfreundlich seinen brünstigen Blicken nachgab.
Wohin sie …? fragte sie. Egal, sagte er keck, ein nettes kleines Hotel in der Nähe, und gab ihr die Hälfte der Scheine in seiner Hand, die andere Hälfte würde sie hinterher bekommen.
Jetzt hatte sie, wenn sie ihn nicht wirklich wollte, immer noch die Möglichkeit, abzuhauen und mit der einen Hälfte im Trubel der Menge unterzutauchen, er wäre ihr nicht gefolgt… Da sie blieb, nahm er ihre blutverschmierte, aber feinädrige Hand, führte unter ihrem befremdeten, fast höhnischem Blick an die Lippen und küsste sie. Wie sie heiße? fragte er. Adam, sagte sie mit hochmütigem Zögern, Olivia Adam. Doch werde sie überall Esmeralda genannt – nach der Gestalt der Zigeunerin aus Victor Hugos Der Glöckner von Notre Dame.
Dann kommen Sie bitte, schöne Madame Adam! sagte er mit einer Galanterie, die zwar in merkwürdigem Gegensatz zum wahren Charakter der Situation stand, dabei aber zu seinem feinen Rock passte. Er hatte soviel Achtung vor ihr, dass er noch nicht einmal wagte, sie beim Vornamen zu nennen. Ihr Hemd war wieder abgeglitten, ihre Brüste lagen bloß. Sie wollte sich wieder verhüllen. Aber: Lassen Sie das Hemd ruhig offen! sagte er jetzt, da er seiner Sache sicher war, etwas gebieterisch, wie um von Anfang an jedem Anschein der Prüderie zuvorzukommen und weil der unzüchtige Anblick wie ein starkes Aphrodisiakum auf ihn wirkte.
Niemand beachtete sie, jedermann war mit sich selbst beschäftigt. Er legte trotz einer etwas unwilligen Bewegung ihrerseits den Arm um ihre Taille und spürte, während sie gingen, ihre robust wogende Hüfte und ihre nackten Brüste neben ihm auf und ab wippen. Und während die Gier in seinen Lenden mit jedem Schritt zunahm, spürte er, wie es ihm – aus Drüsen, die später die Cowperschen genannt wurden – immer feuchter ins Unterzeug sickerte.
(Weiter mit ‚Esmeralda – 5‘.)
© Günther Stark 2021-02-17