Essen als Zwang

Ulrike Puckmayr-Pfeifer

von Ulrike Puckmayr-Pfeifer

Story

Widerstand zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben. Gegen alle möglichen und unmöglichen Forderungen, die von außen oder von innen kamen, habe ich mich entgegengesetzt. Man könnte es auch Verweigerung nennen. Sich dem Unzumutbaren entgegenstemmen, um das Eigene zu retten. Vor der Fremdbestimmung fliehen hin zur rettenden Selbstbestimmung.

Geboren als absolutes Wunschkind meiner Mutter, wollte sie mich nach ihrem eigenen Bild formen, mich in einen Rahmen zwingen, in den ich nicht hineinpasste, der zu eng war und mich in meiner Bewegungsfreiheit einschränkte. Es geht nicht um Schuldzuweisungen. Es geht um Wahrheit.

Widerstand gegen das Essen. Was auf den Tisch kommt, muss gegessen werden. Der Teller muss leer gegessen werden. Die Geschichte vom Suppenkaspar, der dank seiner Essensverweigerung im Grab landet, wurde mir als abschreckendes Beispiel vorgehalten. Meine Großmutter wollte mich einmal füttern, als mein Suppenteller nicht leer werden wollte. Zorngeladen stieß ich den Teller weg. Er landete samt Inhalt auf dem Boden, zersprungen in Scherben. Es war leider mein Lieblingsteller mit dem gestiefelten Kater drauf, um den es mir dann doch leid tat.

In der Volksschule konnte ich nichts essen. Die Semmel, die ich mir auf dem Schulweg gekauft hatte, brachte ich unangetastet nach Hause. Auch der Versuch der Lehrerin, mich in Absprache mit meiner Mutter in der großen Pause vor der Tafel unter ihrer strengen Beobachtung knieend zum Essen zu bringen, brachte nicht den gewünschten Erfolg. Filmriss. Gegessen oder nicht gegessen? Die Frage bleibt.

Im Internat fütterte mich eine Klosterschwester mit Kürbisgemüse. Direkten Widerstand wagte ich nicht. Ich weiß nicht mehr, wie diese Form der Zwangsernährung ausging. Auf jeden Fall entwickelte ich Angst vor dem Essen. Manchmal saß ich zwei Stunden beim Essen, ganz allein im Speisesaal, während eine gehorsame Ordensfrau mich im Blickfeld hatte und beim Essen beobachtete. Es gab Grießschmarren, den ich nicht und nicht hinunterbrachte. Ich trug eine Schürze, darin hatte ich ein Nylonsackerl versteckt. Ich beobachtete meinerseits die Klosterschwester, und in den kurzen Momenten, in denen sie wegsah, ließ ich einen Esslöffel Grießschmarren in der Schürze verschwinden. Diese mühsame Prozedur dauerte lange. Erst als der Teller leer war, durfte ich den Essplatz verlassen und in den Lernraum gehen, wo schweigend die Hausaufgaben gemacht werden mussten. Fortsetzung von Folter und Zwang. Ich spüre die Beklemmung noch heute, während ich diesen Text schreibe. Kürbis verbinde ich noch heute mit dem Bild der schwarz gekleideten Nonne, die mit dem Esslöffel in die gelbbraune Masse fährt, ihn belädt und meinem Mund näher kommt. Da habe ich einen Filmriss. Ich bin elf Jahre alt, die Tischplatte ist glänzend grün, mein Gesicht ist der kahlen Wand zugewandt. Ob noch andere Kinder im Raum waren, weiß ich nicht. Ich fühle mich ausgeliefert und möchte am liebsten sterben.

© Ulrike Puckmayr-Pfeifer 2021-02-07

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