Etwas tun

ratz

von ratz

Story
Werder 2023

Die Großwetterlage macht mich hilflos. Der Konflikt im Nahen Osten erscheint ausweglos. Und ob auf der Konferenz in Dubai irgendetwas erreicht wird, was die weitere Erhitzung des Klimas auf der Erde bremsen kann, ist fraglich. Der Beitrag, den ich durch meine Lebensführung dazu leisten kann, ist vielleicht wichtig (auch Kleinvieh macht Mist), aber winzig angesichts von mehr als acht Milliarden Erdenbewohnern. Vor allem kann ich ihn nicht sehen und nicht spüren.

Was ich jetzt für einen jungen Mann aus dem Tschad und mit ihm tun kann, tröstet mich. Einmal in der Woche übe ich mit ihm Deutsch. Er besucht auch jeden Nachmittag einen offiziellen Deutschkurs, muss aber sein Deutsch deutlich verbessern, um im April bei der Arbeit zu bestehen, die er dann beginnen wird. Er hat eine Stelle als Elektriker gefunden. Bislang kann er noch so wenig Deutsch, dass es schwierig ist, ihm auf Deutsch etwas zu erklären. Auch Englisch und Französisch spricht er kaum. Aber zufällig hörte ich ein italienisches Wort von ihm. Es stellte sich heraus, dass er, bevor er vor ein paar Monaten nach Deutschland kam, mehrere Jahre in Italien verbrachte. Ich liebe das Italienische, habe mir über die Jahre ganz ordentliche Kenntnisse angeeignet. Immer habe ich davon geträumt, dass ich sie einmal außerhalb eines kurzen Italienurlaubs nutzen könnte. Jetzt spreche ich Italienisch, wenn die Deutschkenntnisse meines Schülers nicht ausreichen, um das zu verstehen, was ich ihm erkläre. Was für eine Freude für mich.

Noch mehr freut es mich, mit welchem Ernst, mit welcher Konzentration er sich um unsere deutsche Sprache bemüht. Erst jetzt im Kontakt mit ihm merke ich, was für eine Zumutung sie für Menschen ist, die mit ganz anderen Lautkombinationen aufgewachsen sind. All die zusammengesetzten Wörter, z.B. Mietzahlung und Druckansicht. Aber das ist noch harmlos gegen so etwas wie Schiffsschraube. Da treffen in der Mitte doch tatsächlich sechs Konsonanten aufeinander. Solche Wörter auszusprechen, ist für ihn harte Arbeit.

Über den Tschad wusste ich bislang fast nichts. Außer dass es da den ehemals riesigen See gibt, der mehr und mehr verschwindet. Jetzt habe ich gelesen: es hat auch anderes gegeben, das verschwunden ist: Kulturen, die schon vor siebentausend Jahren da waren (als die Sahelzone noch nicht dürr, sondern feucht und fruchtbar war). Verschiedene große Reiche im zweiten Jahrtausend unserer Zeitrechnung. Atemberaubende Landschaften. Heute ist der Tschad eines der ärmsten Länder der Erde. Damit haben auch wir Europäer etwas zu tun. Einem Menschen, der von dort kommt, beim Erlernen unserer Sprache zu helfen, ist nur ein winziger Beitrag zu so etwas wie Versöhnung. Aber ich kann die Wirkung meines Tuns sehen und hören, wenn es meinem Schüler nach mehreren Versuchen gelingt, „Steckdose“ und „Mieterhöhung“ (Vorsicht Umlaut!) so auszusprechen, dass ich es verstehen kann.


© ratz 2023-12-02

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