Die Welt zog an mir vorüber. Ich saß mit voll gepacktem Rucksack im Zug auf dem Weg nach Frankreich und konnte es kaum glauben. Endlich ging es los. Endlich war ich wieder ganz auf mich gestellt. Ein Abenteuer wartete auf mich – unbekannte Gefilde für mehrere Wochen. Was anderen Angst macht, gab mir Zuversicht und ein kribbeliges Gefühl im Bauch. Das Ungewisse hatte mich schon immer fasziniert. Und dieses Mal war es ganz besonders stark. Weil ich tief in mir spürte, dass ich auf dem richtigen Weg war und dass – egal was kommt – ich am Ende immer MICH hatte.
Es war Ende September und die letzten Monate hatten mein Leben ganz schön auf den Kopf gestellt. Alles begann mit dem Entschluss zu kündigen und auszubrechen. Aus meinem Job in der Finanzbranche, in der ich schon so viele Jahre festhing und immer wieder das Gefühl, am falschen Platz zu sein, verdrängt habe. Man nehme eine empathische, kreative und feinfühlige Person und setze sie in eine Welt voller Kennzahlen, Statistiken und Karrierebestrebungen. Keine Überraschung, dass es irgendwann crasht. Leider musste es bei mir erst mit einem LKW auf der Autobahn crashen, aber zumindest hat es mir die Augen geöffnet.
Die ersten Monate der Freiheit waren unglaublich. Bepackt mit 14 kg auf dem Rücken und meinem Freund Thomas an meiner Seite bereisten wir in 2 Monaten fast das komplette Zentralamerika und nahmen alles mit, was ging. Maya-Pyramiden in Mexiko, Vulkanbesteigung in Guatemala, Zip-Lining in El Salvador, Canyoning in Costa Rica. Wir wollten so richtig leben. Und das Leben nahm uns in Empfang. Nicht immer war es nur schön, es gab Höhen und Tiefen. Ich weiß, das Leben ist nun mal so. Aber bei Thomas und mir war das schon immer sehr extrem. Hoch hinaus auf Wolke 100, um dann mit vollem Karacho in den Abgrund zu düsen. Ich liebe Achterbahn fahren, sehr sogar! Deswegen wollte ich es wahrscheinlich auch lange Zeit nicht sehen. Voller Liebe und Zukunftspläne sind wir auseinander gegangen und die darauffolgenden 5 Wochen hatte ich ganz allein die Möglichkeit mein Traumland Kolumbien zu bereisen. Auf eine Art und Weise, die mich wohl nachhaltig verändert hat. Denn als ich wieder zurückkehrte in unser gemeinsames Zuhause in Berlin – hat es gekracht. Und zwar gewaltig. Immer und immer wieder – nun schon seit Juni. Es war, als hätte mir die Reise die Augen geöffnet und ich sah unsere Beziehung nun ganz klar vor mir – toxisch und zerstörerisch. Liebe und Hass standen bei uns mittlerweile ganz nah beieinander und ich wollte der Mensch, zu dem ich während dieser Streits wurde, nicht mehr sein.
Vor ein paar Tagen hatte diese Toxizität Ihren Höhepunkt gefunden. Wir wollten unsere Liebe in meiner ehemaligen Heimat auf dem Oktoberfest feiern und haben uns in einer Intensität mit Gift besprüht, wie noch nie zuvor. Mir ging es richtig dreckig, ich war am Boden – und doch hatte es auch etwas Gutes. Denn genau dieses Gefühl nahm ich nun mit. Auf meine Reise. Über 900 km lagen vor mir: der Jakobsweg. Ich war bereit. Zu finden, was zu mir gehört. Meinen Dämonen zu begegnen. Alles anzunehmen, was da kommen möge. UM WIEDER ZU MIR ZU FINDEN.
© Sabrina Grabowski 2023-09-17