von Jürgen Heimlich
Ein guter Bekannter von mir, den ich seit vielen Jahren kenne, ist mit Leib und Seele Religionslehrer an einer Mittelschule. Ich stufe ihn als unkonventionell ein. Dementsprechend ist es nicht überraschend, dass er gelegentlich mit seinen Schülerinnen und Schülern eine Exkursion zum Zentralfriedhof macht. So auch Anfang November 2017. Ich freute mich darauf, zum ersten Mal jungen Menschen ein bisschen über den Zentralfriedhof zu erzählen und ihnen dies und das zu zeigen. Der Lehrer und seine Schülerinnen und Schüler hatten zunächst das Bestattungsmuseum im Rahmen einer Führung kennen gelernt. Und gleich dort in der Nähe des Friedhofscafés traf ich auf die Gruppe. Es dauerte ein paar Minuten, bis es los ging.
Mein Respekt für Lehrer stieg. Denn es war für meinen guten Bekannten eine besondere Aufgabe, die Rasselbande halbwegs bei Laune zu halten. So gut kann ein Pädagoge gar nicht sein, dass ihm nicht ein Kind entwischt und er sich auf die Suche nach ihm begeben muss. Tatsächlich machten wir Halt bei einer der Ehrengräbergruppen und einige Schüler verschwanden kurzfristig. Sie hatten sich nicht die Ehrengräber angesehen, sondern waren einfach in irgendeine Richtung davon gegangen. Nun mussten sie von ihren Schulkollegen zurück beordert werden. Das Interesse an meinen Ausführungen über den Zentralfriedhof hielt sich bei meinen Zuhörerinnen und Zuhörern auch in Grenzen. Es herrschte eine Wurschtigkeit vor und es gab nur einen Schüler, der überhaupt Fragen stellte. Immerhin.
Gegen Ende der Führung aber blieben wir vor dem Grab von William Robert Jones stehen. Und mit einem Mal wurde mir Aufmerksamkeit zuteil. Ich erzählte folgende Geschichte: „William Robert Jones wurde von der US-Justiz zum Tode verurteilt und am 20.11.2002 hingerichtet. Eine Österreicherin hatte ihn geheiratet und seinen Leichnam nach Wien bringen lassen. William Robert Jones wurde am Wiener Zentralfriedhof an dieser Stelle begraben. Er war ein künstlerisch begabter Mensch. Drei Zeichnungen von ihm schmücken sein Grab. Nun, und was euch vielleicht besonders interessieren wird. Der Mann hat wahrscheinlich in Notwehr gehandelt und keinen Mord begangen. Er war selbst bedroht worden und hatte sich nicht anders zu helfen gewusst, als eine Schusswaffe zu gebrauchen. Es wurde also mit ziemlicher Sicherheit ein unschuldiger Mann hingerichtet, wobei die Todesstrafe so und so heute verboten sein sollte, darauf möchte ich schon auch hinweisen. Eines Tages begegnete ich an dieser Stelle einem älteren Paar. Sie pflegten das Grab nebenan, und fragten mich, ob hier tatsächlich William Robert Jones begraben sei oder es sich um eine Gedenkstätte handle. Ja, antwortete ich, hier ruht William Robert Jones. Nun, und wenig später war das Grab nebenan nicht mehr da.“
Diese Geschichte nahmen die Jugendlichen von ihrer Exkursion zum Zentralfriedhof mit.
Und somit war meine Führung am Ende, das schreibe ich in aller Bescheidenheit, von Erfolg gekrönt.
© Jürgen Heimlich 2020-03-02