Face to Face mit der Kuh

dieschreiberei

von dieschreiberei

Story

Einatmen. Ausatmen. Immer die gleiche Leier. Für Gespräche ist keine Zeit. Unsere Gedanken kreisen um das Atmen. Mehr geht in diesem Moment nicht. „Ich brauche eine Pause“, ertönt die erschöpfte Stimme meiner Freundin. Sie ist uns ein paar Meter voraus und scheint doch ewig weit entfernt zu sein. Der Weg hat es in sich. Mehr als das. Er genießt es scheinbar, hinter jeder Kurve die Hoffnung auf ein Ende verpuffen zu lassen. Ich habe schon ernsthaft überlegt, auf allen Vieren hinaufzuklettern. So steil ist es hier.

Mitten am Weg sitzen wir nun. Wir drei. Der Schweiß steht auf der Stirn. Immer wieder bahnt sich eine Schweißperle den Weg in Richtung Auge. „Er hat doch gesagt, es geht nur ein Stück so steil bergauf“, klage ich mein Leid. „Tja, wir hätten mal nach seiner Definition von kurz fragen sollen“, versucht die Freundin zu scherzen. Sie scheitert kläglich. Nach einer gefühlten Ewigkeit rappeln wir uns wieder auf. Zügig schreiten wir voran. Doch die vorhin gesammelte Energie ist nach ein paar hundert Metern erneut aufgebraucht. „Seht, dort oben lichtet sich der Wald“, vernehme ich den Freudenschrei.

„Wow, ist das eine schöne Hütte. Und die Aussicht ist herrlich“, staunen wir und genießen den Augenblick. Gönnen unseren erschöpften Beinen eine kleine Auszeit. Das Denken hat Pause vom ständigen Einatmen und Ausatmen. „Hat er nicht gesagt, die richtige Wanderung geht dann ab dieser Hütte los?“, zerstört die Dritte im Bunde die gute Stimmung. Die Meine krabbelt jetzt auf jeden Fall im dunklen Keller herum. In der Hoffnung, nicht gefunden zu werden.

„Da klettere ich bestimmt nicht hinauf“, halte ich empört inne. Nur um kurze Zeit später mit voller Geschwindigkeit die Hürde zu meistern. Ich zittere am ganzen Körper. Meine Nerven haben jeglichen Anhaltspunkt verloren. Laden sich auf und Entladen sich an falscher Stelle. „Gerade gestern habe ich mir geschworen, es die nächsten Tage ruhiger angehen zu lassen. Und heute stehe ich da. Hier. Verstehe die Welt nicht mehr“, bemitleide ich mich selbst.

Nach erholsamen Stücken kommt immer wieder eine Passage, die mich beinahe umdrehen lässt. Doch vor dem Rückweg habe ich genauso große Angst. Also Augen sperrangelweit auf und durch. Geschlossene Augen wären nicht ratsam.

Das letzte Stück klettern wir ohne erkennbaren Weg weiter. Ich den anderen voraus. In der Hoffnung, als erste erlöst zu werden. Mit ganzer Kraft klammere ich mich am Gras fest. Hieve mich Stück für Stück nach oben. Den Blick immer darauf gerichtet, wo ich den nächsten Halt finden kann. Plötzlich erstarre ich. Vor mir steht sie. Sieht mich neugierig an. Und ich sie. Aber nicht neugierig. Sondern voller Angst. Ich bewege mich keinen Millimeter mehr weiter. Meine Freundin überholt mich und lotst mich sachte an der Kuh vorbei. Mein Herz droht mir aus der Brust zu springen.

In weitem Abstand sitzen wir auf der Alm. Vor, hinter, links und rechts. Überall Kühe. Ein schönes Bild. Aber auf der Postkarte habe ich ein solches Motiv lieber.

© dieschreiberei 2021-05-23

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