von Anna Geier
Vier Milchkühe, das sind sechzehn Zitzen, täglich dreimal gemolken, das sind achtundvierzig Zitzen, abgewischt, gestreichelt und sanft massiert, damit die Milch zu fließen beginnt.
Als Bäuerin brauchte man Muskeln, um dem Euter die Milch zu entlocken. Ausgemolken musste die Kuh in etwa acht Minuten sein, sonst versiegte das Milchflusshormon. Melkversuche in meiner Kindheit waren dazu da, das Handwerk zu erlernen, die Kühe auch an meine Hände zu gewöhnen, um bei Bedarf das Melken zu übernehmen. Das Werkzeug war denkbar einfach, ein Melkkübel und ein Melkschemel reichten.
Zuerst wurden die Kuhfladen entfernt und die Tiere mit Heu gefüttert. Die Annäherung an Berta, Roserl, Hilde und Luise wurde durch eine freundliche Anrede beim Namen und eine Klatsche auf den Hinterschenkel gestartet. Bei ganz unruhigen, nervösen Tieren wurde der Kuhschweif fixiert, damit man das Prachtstück mit Kuhfladenresten nicht als Peitsche im Gesicht hatte.
Manchmal gab es von Roserl ein freundliches, wohliges „Muuuh“. Das war der Ausdruck der Erleichterung, denn die Kuh spürt den Milchstau als Druck. Mama molk fast immer zur selben Zeit. Wenn die Melkzeit nicht eingehalten werden konnte, ließen manche Kühe einfach die Milch von selbst rinnen. Da waren immer die Katzen zur Stelle und labten sich an dem sanften Milchstrahl. An die Sommerzeit gewöhnten wir die Kühe schrittweise um.
Der warme Milchsee wurde durch ein Milchsieb geschüttet und anschließend gleich gekühlt. In der Milchzentrifuge wurde der Rahm von der Milch getrennt. Die Magermilch wurde den Schweinen verfüttert. Aus dem Rahm, der in Keramiktöpfen im Erdkeller aufbewahrt wurde, wurde am Samstag immer Butter gerührt. Die Rohmilchbutter wurde im Butterfass händisch gerührt, da durfte ich mich anstrengen. Diese selbstgemachte Butter, die Buttermilch, der Topfen und die Sauermilch verfeinerten unser Essen.
Die kleinstrukturierte Landwirtschaft war bald nicht mehr überlebensfähig. Es wurde alles größer, schneller und mehr, sogar die Milchleistung musste gesteigert werden. Kühe wurden gezüchtet, mit Euter bis zum Boden reichend. So maximal ausgebeutet leben die Kühe immer kürzer. Krankheiten und Unfruchtbarkeit als Reaktion darauf, werfen die Hochleistungskühe immer früher aus der Produktion hinaus. Gewinnmaximierung und eine faire Milch passen nicht zusammen, das ist aber Realität. Vierzig bis hundert Kühe sind die Norm geworden und gemolken wird nur mehr maschinell. Computergesteuert wird ihnen das passende Futter verabreicht, auch Zusatzfutter zur Leistungssteigerung. Genug ist nie genug, es muss durch den ruinösen Preisdruck am Markt weiter maximiert werden.
“ Warum hat ein Kuh vier Zitzen?“ fragte mich einmal ein Städter. Da musste ich lachen und antwortete ihm: “ Die erste gibt Vollmilch, die zweite Magermilch, die dritte H-Milch und wenn wir der Kuh am Abend Kaffee geben, dann gibt die vierte Zitze am Morgen Milchkaffee!“ Da musste auch er lachen.
© Anna Geier 2020-02-21