Fallakte Leben

Luna Winkler

von Luna Winkler

Story

GenĂĽsslich schlĂĽrfte der Kommissar seinen Kaffee und zurĂĽck zu seinem Tisch. Schwerfällig lieĂź er sich in seinen Fastchefsessel fallen – und vergaĂź dabei den noch heiĂźen Becher Kaffee in seiner Hand, an dem er sich eben noch die Zunge schmerzhaft verbrannt hatte, und dessen Inhalt, der sich bei seiner doch recht ausfälligen Geste seinen Weg auf die Tischplatte vor ihm bahnte.So ruckartig wie er gefallen, so schnell sprang er wieder auf, fluchte und schimpfte, versuchte die Tintenflecke aus seinem cremeweiĂźen Schritt zu tupfen und die Akten zu retten, ĂĽber die sich die tiefschwarze Automatenplörre ergossen hatte.Eine ganze Weile war er damit beschäftigt, sich selbst und seinen Arbeitsplatz zu säubern, herumzuwischen, ab und an ein anstößigen Begriff durch die Zähne zu zischen und schlieĂźlich des Ăśbels größtes Opfer zu bergen – eine schmale Akte, getränkt in dem Schwarz des Kaffebohnenwassers und völlig durchnässt. Herr Kommissar war schon beinahe gewillt, das triefende Etwas in den Untiefen seines ĂĽberrandvollen MĂĽlleimers verschwinden zu lassen – wäre da nicht der Titel des Falls, der sein Augenmerk forderte.

Fallakte Ben. Des Kommissars Hirnkastl ratterte. Er konnte sich an keinen kürzlich sich zugetragenen Fall erinnern, geschweige denn an einen mit solch verwunderlichem Titel. Die Akte selbst hatte er noch nie zuvor gesehen – vielleicht war sie die des Kollegen und unter die seinen gerutscht.Und da das Grund genug war, dem Ganzen eigenständig nachzugehen, ließ sich der Kommissar in seinen Fastchefsessel sinken, wesentlich langsamer als zuvor, gespannt und unfassbar neugierig über den Inhalt des schwimmenden Papierstoßes. Er lehnte sich zurück, den nassen Kaffeefleck zwischen seinen Beinen vergessend und schlug die Beine übereinander, andächtig die erste Seite auf, dürstig nach den Machenschaften und vermeintlichen Fehler des werten Hern Kollegen.

Doch so entspannt er sich in die Rückenlehne gepresst hatte, so schnell fuhr er wieder nach vorne, verwundert, irritiert, ja, wenn nicht geschockt, denn die erste Seite – sie beinhaltete nichts. Rein gar nichts war zu lesen, zu sehen, lediglich weiß-bräunlich geflecktes Papier. Nada niente.Das gibt es nicht. Das durfte es nicht geben. Immer hektischer durchblätterte er die Seiten, übersprang die ein oder anderen, die vom Kaffee zusammengehalten wurden, doch die Erkenntnis, sie traf ihn. Da war nichts. Da stand nichts. Eine leere Akte. Das –Er hätte es melden sollen. Er hätte es wirklich melden sollen. Doch gerade als er dabei war, diesen Übeltäter ausfindig zu machen, der ihm eine leere Akte auf den Tisch klatschte, bemerkte er sie. Die letzte Seite. Ihn. Den kleinen Menschen auf der allerletzten Seite der durchtränkten Akte.

Der kleine Mensch weinte. Und seine Tränen vermischten sich mit den Kaffeeflecken auf dem Papier – perplex starrte der Kommissar auf seinen kleinen Kopf, gesenkt und tief betrübt.

Er schlug die Akte zu – und las: Fallakte Leben.

© Luna Winkler 2023-01-25

Hashtags