Falten im Knie

Gimpel

von Gimpel

Story
2019

Nein, beim Schilaufen ist es nicht passiert sondern beim Stiegensteigen. Ein Schnalzer, ein Schmerz – und schon hatte sich der Meniskus „vertschüsst“. Aber natürlich sage ich, wenn ich auf meine Beinschiene und auf meine Krücken angesprochen werde, dass es in einem Steilhang war, Tiefschnee bis zu den Hüften, eine falsche Belastung, und schon lag ich da. Die Rettung kam im Hubschrauber, ein fescher Bergdoktor untersuchte mich sofort. Gut, dass ich das Handy dabei hatte, den Lawinenrucksack sowieso.

Den Schirennläuferinnen dürfen wir es verdanken, dass Krücken nicht mehr auf ein höheres Alter, eine angeborene Behinderung oder eine andere Bresthaftigkeit hin deuten. Immer öfter erleiden unsere Spitzensportlerinnen Bänderrisse und Knochenbrüche, das tut mir für die Helden und Heldinnen der Nation leid, aber für uns, deren Bänder schon ausgeleiert sind, hat es etwas Gutes. Die Schienen über engen Leggins an den Beinen sind schick, die Krücken sind bunt und man lacht der Zukunft entgegen. Bei der OP habe ich zugeschaut. Spannend. Ich hätte doch Chirurgin werden sollen. Mein Knie wird von Tag zu Tag besser, ich übe eisern was mir die Physiotherapeutin auftrug. Die heurige Schisaison kann ich streichen, aber Golfen ist ab Ostern wieder sicher.

Geahnt habe ich es schon seit Wochen, dass da mit dem Knie etwas nicht stimmt und dass ich mich für den Rest meiner Tage eher dem Golfen zuwenden sollte. Golfen ist der ideale Sport der Alten. „Golfen Sie schon? Oder haben Sie noch Sex?“ Das fragte man früher die älteren Leute, damals, als Golfen noch ein exklusiver Sport war. Heute kostet eine Jahreskarte im Golfclub weniger als eine Schiwoche in Kitzbühel.

Ja, ein wenig traurig bin ich schon. Jetzt, da ich mir den Tag mit gymnastischen Übungen, mit dem Wegräumen von Geschirr (auf zwei Krücken) und dem Einkaufen (mit Rucksack) vertreibe. Der Alltag ist eine logistische Herausforderung.

Aber alles hat auch etwas Gutes. Die Freundinnen und die Freunde sind da, die Kinder, die mir ein Mittagessen bringen oder mit mir ein Lokal besuchen. Und die Mitmenschen. Ich hatte sie immer als grantige, unhöfliche Leute empfunden, diese Wiener. Nun werde ich eines Besseren belehrt. Sie lassen mir am Zebrastreifen den Vortritt, fragen ob sie helfen dürfen, der Lenker der Straßenbahn wartet mit der Abfahrt bis ich sitze, der Gast im Restaurant öffnet mir die Tür wenn er durchs Glas meine verzweifelten Versuch sieht, die Frau aus dem ersten Stock, die ich nur vom Grüßen kenne, fragt, ob sie etwas für mich einkaufen soll. Und wenn ich durch mein Grätzl gehe, werde ich von vielen Leuten gegrüßt, angelächelt, angesprochen. Nicht jedem erzähle ich die Geschichte vom Tiefschnee am Arlberg. Ich wäge ab und sage auch die Wahrheit: Meniskusriss ist eine Alterserscheinung.

Die Falten im Gesicht, die gibt’s auch im Knie.

© Gimpel 2019-04-11