von Sabine Schlager
Familie
Die Wolken wurden dichter und zogen sich bedrohlich zusammen. Wir sollten uns beim Einsammeln nicht mit unnötigen Floskeln aufhalten. „Dürfen wir überhaupt aus dem Wald Äste und Zapfen usw. mitnehmen?“, fragte ich dich. „Wen sollte es stören? Solange ihr keine Bäume schlägert?“ „Ha! Ha! Witzig!“, kommentierte Lory Lee deinen Spruch. „Sie mögen mich nicht?“, hast du etwas konsterniert festgestellt. „Ich denke, es reicht, dass Meg Sie mag“, antwortete meine Schwester dir. „Ja das reicht!“, hast du nachsichtig bekundet. „Ist zwar schade aber in Ordnung. Ich respektiere Ihre Meinung“. „Also Lory, echt jetzt!“ Ich war sauer auf meine widerborstige Schwester.
Wie ein guter Kumpel bist du neben uns her getrottet, hast Zweige und allerlei Zeugs in unseren Korb gelegt. Wie nebenbei hast du dich nach unseren Eltern erkundigt und zugegeben, wie nahe dir der Zwist gegangen wäre und wie sehr du das abrupte unschöne Ende dieses Abends bedauert hättest. „Dad hatte eine Kolik und war einfach nur gereizt. Theo, unser Nachbar hat ihm geflüstert, wir würden ihm auf der Nase herumtanzen. Totales Misstrauen eben“. Du hast verständnisvoll genickt, aber letztlich doch durchblicken lassen, dass all das für den Eklat nicht wirklich eine Entschuldigung gewesen wäre. Allerdings hast du eingeräumt, dass es oftmals zwischen Familienmitgliedern Auffassungsprobleme gäbe. „Ich versuche stets für meine Kinder ein offenes Ohr zu haben, bei meinem Vater war das leider nicht gegeben“, hast du uns freimütig gebeichtet.
„Als mein Vater damals aus dem Krieg zurückkehrte und Mama nochmal schwanger wurde, ungeplant, war sie glücklich damit, mein Pa aber so überhaupt nicht. Denn eigentlich hatte er in meinem zehn Jahre älteren Bruder Ewan bereits seinen Wunsch-Sohn gefunden.“ Du hättest dich stets mit ihm messen müssen, hast du erzählt. Das Vater-Sohn-Verhältnis wäre demnach nicht besonders gut gewesen und es wäre dir daher leicht gefallen, schon als Teenager das Elternhaus zu verlassen. „Was ich jedoch nicht einkalkuliert hatte, Mama hat mich vermisst. Weißt du, Ewan war gleich mit vierzehn in ein Internat gekommen, militärische Ausbildung, Jura-Studium, Karriere. Das volle Programm“. Du hast erwähnt, dass deine Mutter sich in Schottland einsam gefühlt hätte und dass ihr eigentlich aus dem Süden kommend, zugezogen seit. Nämlich aus den Cotswolds.
„Wie unsere Familie“, merkte ich Parallelen an. „Mom hat französische Vorfahren, ist in London aufgewachsen, Dad in Brighton. Sie hatten es schwer mit der Eingewöhnung. Die Schotten sind ein stolzes, mächtiges Volk, aber nicht leicht zu erobern bzw. für sich zu gewinnen. Da muss man schon um Anerkennung ringen. Ihr hat Tilly sehr bei der Eingewöhnung geholfen, denn Dad hatte schnell seine Kumpels durch die Arbeit gefunden. Als er noch Festangestellter bei <Dexter Delivery> gewesen war, war es für ihn leichtes Spiel gewesen, sich einen Freundeskreis aufzubauen. Als es um die Neustrukturierung der Firma ging, entschied er sich gegen eine Entlassung und wählte den Job als Außendienstmitarbeiter. Sein Freundeskreis hat sich zerschlagen. Viele Kumpels sind mit ihren Familien weggezogen. Der Klassiker.
© Sabine Schlager 2025-02-24