von Andrej Geuder
Meine Zimmertür öffnet sich ohne vorheriges Klopfen. Noch während mein Vater den Raum betritt, schließe ich schnell mein TikTok, bevor er irgendwas von dem Inhalt mitbekommt. Offensichtlich zu spät, denn gleich darauf seufzt er.
“Finn, schaust du dir wieder Videos über Samuel Vandersen an?”
“Nein”, lüge ich.
Der Blick, den mein Vater mir aus seinen trüben, blauen Augen zuwirft, die ich definitiv nicht von ihm geerbt habe, zeigt, dass er mich sofort durchschaut hat.
“Du musst damit aufhören. Dir wird nichts passieren, Finn…”
Ich kräusle meine Nase und erspare mir, ihm ein weiteres Mal zu erklären, dass es nicht darum geht. Er würde es nur wieder nicht verstehen.
“Gibt es denn was Neues?”, frage ich also und lasse meine (schlechte) Fassade damit sofort fallen.
“Du weißt genauso gut wie ich, dass ich dir nichts über laufende Ermittlungen sagen darf.”
“Also laufen die Ermittlungen noch?”
Mein Vater verengt seine Augen. “Sein Verschwinden ist drei Monate her, Finn”, sagt er schließlich. „Egal, was du in deinen True Crime Podcasts hörst… oder TikToks, oder was auch immer – in der realen Welt funktioniert das alles anders.“
Ich setze mich ein wenig im Bett auf. „Also ist er tot?“
Er schnaubt. „Das habe ich nicht gesagt. Finn, ich komm‘ gerade von der Arbeit, ich brauch‘ das nicht auch noch daheim.“
Als ob ich mich damit abspeisen lassen würde. Nicht, wenn mein Dad gerade scheinbar so in Redelaune ist. „Hast du schon mitbekommen, dass er wahrscheinlich einen Blog auf Tumblr hatte? Sein Name war wohl TooYoungToNotBeDead. Ziemlich düster, oder? Er hat da auch echt düsteres Zeug geschrieben. Ich mein ja nur, dass -„
„Finn“, unterbricht er mich und stöhnt genervt. „Ich hab uns Asia-Nudeln mitgebracht… Deine sind vegetarisch. Aber wenn du mir weiter ein Ohr mit diesem Fall abkaust, kriegst du die mit Chicken.“
Meine Kinnlade sackt erst nach unten, bevor ich wieder die Kontrolle über mein Gesicht bekomme und sie wieder zuklappe. „Das wagst du nicht“, sage ich.
Jetzt grinst mein Dad tatsächlich. „Find’s raus“, erwidert er und verschwindet aus dem Zimmer. Schnell rutsche ich vom Bett und renne hinterher.
„Finger weg von meinen Nudeln!“, rufe ich, während ich die Treppe herunterpoltere. Als Antwort lacht er nur.
© Andrej Geuder 2024-09-10