Fanta aus Tüten – Nicaragua

Johanna Hardt

von Johanna Hardt

Story
Nicaragua

Wir steigen in den Bus mit den zerschlissenen Sitzen und geöffneten Fenstern. Dann fahren wir auch schon los, verlassen den kleinen Busbahnhof an der Grenze zu Costa Rica und biegen auf eine etwas größere Landstraße ein. Kaum eine Minute später macht ein Fahrgast eine lockere Handbewegung und wirft dabei seine Plastikverpackung aus dem Fenster. Im ersten Moment glaube ich, nicht richtig zu sehen. Dies war in Costa Rica kein Thema!
Doch er bleibt nicht der Einzige. Immer wieder werfen die Einheimischen Flaschen und Tüten aus dem Fenster. Man würde meinen, dies geschieht im Verborgenen, doch es scheint niemandem unangenehm zu sein. Wie kann das sein, dass Müll einfach aus dem Fenster geworfen wird? In Deutschland findet man auch solche Idioten, aber Normalität ist es nun auch wieder nicht.

Kann man den Menschen einen Vorwurf machen?
Die einfache Antwort ist natürlich ein „Ja“, schließlich verschmutzen sie aktiv ihre Umwelt.
Ganz klar, es ist wirklich eine absolute Katastrophe, den Müll mit einer lockeren Handbewegung in den Graben zu werfen, aber haben diese Menschen eine Wahl?
„Man hat immer eine Wahl“, sagen wir als Privilegierte im Zentrum Europas und stellen uns dabei so oft als fortschrittliche Gesellschaft dar. Ich finde, es wird uns verdammt leicht gemacht, denn wir müssen uns unsere Hände nicht beschmutzen. Wir stellen unsere Mülltonnen an die Straße und dann kommt die Müllabfuhr, deren Beruf leider auch noch wenig Ansehen genießt.
Ausgenommen weniger, die sich um Müll bücken, bleiben wir meist dabei, über die Umweltverschmutzer zu urteilen.
Ganz stark bezweifele ich da, dass wir als Einzelpersonen die Verantwortung für unseren Müll übernehmen würden, wenn es die Müllabfuhr und den Wertstoffhof nicht gäbe.

Zudem ist es eben auch eine Sache der Bildung und des Wohlstands. Während ich so darüber grübele, fühle ich mich schuldig über die Menschen, die ihren Müll in die Natur werfen, zu urteilen, wobei ich doch weiß, dass die meisten Einwohner Nicaraguas arm sind. So viele Menschen sitzen hier mit Säcken voll Lebensmitteln, die sie auf einem anderen Markt verkaufen wollen. Alles ist in Plastiktüten verpackt. Geschnittenes Obst, Gebäck und sogar Süßgetränke werden aus Flaschen in Tüten umgefüllt. Noch nie vorher habe ich gesehen, dass man eine Fanta aus einer Plastik oder sogar einer Glasflasche in eine kleine Tüte schüttet, zudreht, um dann mit einem Strohhalm daraus zu trinken. Wie unnötig.
Für mich ist es unverständlich, so achtlos Massen an Verpackungsmüll zu produzieren und ihn dann letztendlich einfach in die Natur zu werfen. Die Müllberge in den Gräben, die Tiere, die im Müll schnüffeln und die Menschen, die teilweise barfuß auf den verschmutzten Straßen gehen erschrecken mich.
Aber kann man es nicht auch verstehen?
Wie soll man sich Gedanken um Müllentsorgung machen, wenn man nicht weiß, ob man sich das Abendessen für die Familie leisten kann?
Wenn man Mühe in das reine Überleben stecken muss, ist dafür kein Platz.
In dieser Lebensrealität bleibt weder Zeit noch Energie dafür über.
Nicaragua ist ein Entwicklungsland.

© Johanna Hardt 2023-08-29

Genres
Reise