Fast Perfekt

Leah Braun

von Leah Braun

Story

Es regnete in Strömen und das bereits den gesamten morgen. Manch einer würde jetzt behaupten, dass es kein guter Tag sei, doch ich empfand ihn als perfekt. Perfekt für eine Thermoskanne voll heißem Kaffee. Perfekt für eine Reise mit, ausnahmsweise, pünktlichem Zug. Perfekt für eine Reise mit meinem „kleinen“, roten Koffer. Ich seufzte: „Hah, Perfekt, wahrlich Perfekt!“. Ich sah hinüber zu meinem zerstreuten Begleiter, er wirkte nicht so begeistert wie ich. Warum bloß? Der Grund für seine schlechte Stimmung erschloss sich mir nicht. Er mochte schließlich auch dunkle, nasse tage, vorrangig dunkle tage, den an diesen viel er deutlich weniger auf. Oder genauer gesagt seine taten vielen weniger auf, aber an solchen tagen gab es auch weniger Frauen, die sein Opfer werden konnten. Da viel mir ein, dass ich diesen morgen etwas von ihm „verloren“ hatte, vermutlich rührte seine schlechte Laune daher. „Du musst es positiv sehen, du bekommst nun viele Orte zusehen, die du ohne mich nie zusehen bekommen hättest“, mit diesen Worten und einem lächeln versuchte ich ihn aufzumuntern, jedoch gelang es mir nicht. Vielleicht war mein Lächeln zu groß und meine Reue zu klein. Tatsächlich bereute ich nichts, weder diesen morgen, noch den vergangenen -sehr intimen- Abend. Ich fasste an das kleine Messer, das neben Tüchern in meiner Jackentasche umherflog. Er andererseits schien nicht nur den letzten Abend, sondern auch die vergangenen fünf Jahre seines Lebens zu bereuen. Ich bezweifelte, dass er es auch bereuen würde, wäre er am letzten Abend erfolgreich gewesen. Jemand wie er konnte sich nicht ändern. Niemals. Ich seufzte schwer und murmelte: „Nein, niemals!“, das hatte ich auf die eine oder andere Weiße lernen müssen.

Ich klatschte laut in die Hände und schüttelte den Kopf. Nein! An solch einem schönen Tag wollte ich mich nicht an bereits begangene Fehler erinnern.

Ich sah aus dem Fenster und beobachtete die Regentropfen bei ihren wettrennen. Als mich jemand an der Schulter antippte. Es war ein Mann gekleidet in einen schwarzen Anzug. Ich drehte mich um und lächelte ihn freundlich an, „Bitte entschuldigen Sie, die Stimmen wollen heute einfach nicht schweigen“, und damit wendete ich mich wieder den Tropfenrennen zu. Als ich erneut von ihm an der Schulter angetippt wurde. „Miss, es ging mir nicht um ihre Selbstgespräche, diese sind mir herzlich egal. Allerdings ist mir aufgefallen, dass ihr Koffer tropft. Und das stellt eine Gefährdung der Allgemeinheit und Ihnen selbst dar. Bitte kümmern Sie sich darum“. „Oh, aber natürlich. Einen Moment“, erwiderte ich, bevor ich mich so drehte, dass ich ein Tuch aus meiner Jackentasche holen konnte. Von wegen wasserdichter Koffer, Blut bestand zu großen Teilen doch auch aus Wasser, also warum hielt er dieses nicht drin? Plötzlich spürte ich wie der Mann näher kam. Ich wollte mich schon zurückdrehen, um ihn wegzuschubsen, da flüsterte er: „Er hatte es zwar verdient und ich empfinde ihre Idee als großartig, dennoch sollten Sie keine Leichen mit dem Zug transportieren, zu viele Menschen. Sie verstehen?“

Ich sah über die Schulter des Mannes, der in der gleichen Branche wie ich tätig zu sein schien. Hinüber zu meinem zerstreuten Begleiter, denn dieser hatte ganz kurz einen Hoffnungsschimmer in seinen eigentlich toten, durchscheinenden Augen gehabt.

© Leah Braun 2025-03-11

Genres
Spannung & Horror
Stimmung
Dunkel, Mysteriös