von Isabel Gurschke
Die nächsten Tage sind ruhig. Geben mir Zeit meine Wunden — körperliche und emotionale — zu lecken. Beinahe konnte ich mir sogar einreden, dass das alles gar nicht passiert ist. Fortunas Armreif liegt in der hintersten Ecke meiner Schmuckdose, die oberflächlichen Kratzer waren verheilt und Dionysos Blick verfolgt mich nicht mehr jedes Mal, wenn ich die Augen schließe. Der einzige Beweis für das Geschehene war die Narbe, die Artemis mir zugefügt hatte. Und das Buch, das vermutlich immer noch in der Bibliothek ausliegt und mir meinen üblichen Rückzugsort nimmt. Vielleicht war heute der Tag, an dem ich mich zumindest dieser Angst stellen sollte. Ich kann schließlich einfach einen großen Bogen um diesen Teil der Bibliothek machen. Ich raffe mich auf, fülle meinen Rucksack mit meinen üblichen Bibilotheks-Essentials und schnappe mir die Bücher, die noch zurückgegeben werden müssen. Ich atme ein letztes Mal tief durch, öffne die Haustür und wäre beinahe über einen Strauß Blumen gestolpert. Nirgendwo war ein Absender, eine Karte oder sonst ein Hinweis darauf zu finden, von wem oder für wen die Blumen sind. Ich hocke mich auf die Stufen vor der Tür und beginne damit das Papier, in dem sie eingewickelt sind, zu lösen. Bei jeder Berührung verströmt die wilde Blumenmischung einen betörenden Duft. Fast schon zu gut. Oh, nein. Ich lege sie vorsichtig beiseite und streiche das Papier glatt. Liebe durch die Blume. Göttliche Gestecke und mehr!
Ich starre die bunten Buchstaben für eine Weile einfach nur an. War das hier ein neues Rätsel? Das wäre nun wirklich zu einfach. Und wer sollte die Blumen geschickt haben? Dionysos? Oder hatte Bash ihn doch noch überzeugen können, das Rätsel zu verraten und wollte mich so nun wieder mit reinziehen? Kaum sind diese dummen Rätsel und Götter zurück in meinem Leben, kommen auch die Kopfschmerzen zurück. Ich steige ins Auto, lasse die Blumen und das Papier mit dem Rest meiner Sachen auf den Beifahrersitz fallen und fahre los. Wohin, das weiß ich selbst noch nicht.
Eine Stunde später parke ich vor dem Laden. Ich hatte eigentlich nicht herkommen wollen. Dann hatte ich nur kurz geschaut, wo er überhaupt ist. Und dann hat meine verdammte Neugierde doch wieder gewonnen. Die Fassade des Ladens sieht völlig normal aus. Ich weiß nicht genau, was ich erwartet hatte, aber nach Dionysos Tempel ist das hier fast schon langweilig? Ich werfe einen letzten Blick auf Aphrodites Wikipediaseite. Aphrodite ist gemäß der griechischen Mythologie die Göttin der Liebe, der Schönheit und der sinnlichen Begierde (…). Sie wurde insbesondere als Schutzherrin der Sexualität und Fortpflanzung verehrt, die sowohl den Fortbestand der Natur als auch die Kontinuität der menschlichen Gemeinschaften gewährleistete. (…) Insbesondere ist sie die Göttin der Blumen, Bäume und Früchte. Wäre das meine Beschreibung, würde ich mich wahrscheinlich auch als Floristin ausgeben. Oder ich rede mir das Ganze nur ein und mein Vater hatte einfach nur meiner Mutter Blumen schicken wollen. Ich weiß nicht, ob mich die kleine Stimme in meinem Kopf beruhigt oder noch nervöser macht. Bevor ich noch länger darüber nachdenken kann, steige ich aus, Versuch, einen Blick ins Innere zu erhaschen und muss mich dann doch geschlagen geben.
© Isabel Gurschke 2023-09-01