Ich war fünfzehn und aus Mangel an besseren Optionen in der Gartenfachschule Ritzlhof (Oberösterreich). Für Pflanzen hegte ich schon immer eine Leidenschaft, doch mir war bald klar geworden, dass ich das nicht für immer beruflich machen wollte.
Zum Geburtstag schenkten mir meine Eltern eine wunderschöne Sammlung von Goethes Werken im vierbändigen Schuber, die ich immer noch besitze. Darin befindet sich auch der Faust. Während also meine Schulkolleginnen Lifestyle-, Beauty- und Teenager Magazine lasen, vertiefte ich mich in die Geschichte vom Handel mit dem Teufel. Und als die großartige Sprache, die intelligente Ausführung und die pure (Un-)Menschlichkeit des Dramas mir unter die Haut fuhren, meinen Geist erfassten und mein Herz bewegten, keimte der Samen für meine Zukunft auf.
Einige Jahre später zeigte sich, dass mein Leben nicht die richtigen Bedingungen für diesen Spross bot, um zu gedeihen. Zu wenig Dünger, zu wenig Raum, er brauchte mehr Licht! Also entschloss ich mich, mit Unterstützung meiner Mama, eine Studienberechtigung mittels Prüfungen zu erlangen. Dabei kam mir unversehens erneut Goethes Faust zu Hilfe. Eine der Prüfungen (Philologische Grundlagen) sollte ich bei einem berühmt-berüchtigten Professor ablegen. Prof. G. spaltete die Studentenschaft der Germanistik in zwei Lager: die einen fürchteten ihn und die anderen verehrten ihn. Ich gehöre zweifellos zu letzteren. Er ist für seine Strenge bekannt und dass er viel von seinen StudentInnen verlangt.
Im Vorfeld der Prüfung besuchte ich den Professor in seinem Büro, um die Leseliste festzulegen. Dabei gab er mir zu verstehen, er würde u. a. grundsätzlich immer den Faust 1 prüfen. Kein Problem, dachte ich und las das Drama nochmals. Allerdings eröffnete sich mir ein komplett neuer Zugang zu dem Text, da ich mich zeitgleich auch mit Sekundärliteratur und wissenschaftlicher Forschung beschäftigte. Nun begann ich erst langsam die wunderbare Komplexität des Faust, welche ich bis dato kaum erahnt hatte, wirklich zu verstehen.
Die schriftliche Prüfung war vierstündig, kommissionell und musste im Senatssitzungssaal in der Kapitelgasse abgelegt werden. Die Fragen wurden per Essay beantwortet. Eine Woche später folgte dann die mündliche Prüfung im Büro von Prof. G. Er begrüßte mich mit einem Lächeln und meinte, dass er im Rahmen einer Studienberechtigung noch nie eine so gute Abhandlung über den Faust gelesen hätte. Dieses Kompliment ließ mich vor Stolz und Erleichterung erzittern. In diesem Moment war mir klar, den richtigen Weg gewählt zu haben und ganz egal was auch kommen möchte, ich ihn bis zum Ende gehen würde.
Heute bin ich Master of Education University, habe sowohl meine Bachelor- als auch meine Masterarbeit, beide bei keinem geringeren als Prof. G. geschrieben, mit Sehr Gut bestanden und blicke auf ein abgeschlossenes Studium mit Ausgezeichnetem Erfolg zurück. All dies verdanke ich nicht zuletzt Goethes Faust.
© Magdalena Markovic 2021-10-21