Ich bin seit 1 Monat auf der tunesischen Insel Djerba. Ich kam mit meiner 2 1/2 jährigen Tochter Linda mit meinem alten VW Golf hierher, um einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen. Eintauchen in die faszinierende Welt des Orient.
Mein Freund, Maoui, der einer der GrĂĽnde war, warum ich dieses Abenteuer gewagt hatte, gab an diesem Nachmittag meinem Drängen nach, mit ihm gemeinsam in ein CafĂ© in den Ort zu gehen. Midoun ist die zweitgrößte Stadt auf Djerba, bekannt durch seinen Wochenmarkt, aber sonst ist nicht viel los. Die gesamte Insel wirkt sehr traditionell, abgesehen von der „zone touristique“, der Hotelzone. Es gibt noch viele Menzel – vierkantige Wohnhäuser mit Innenhof und höheren Gebäuden an den Ecken. Djerbi-Frauen sind oft klein und dicklich und tragen gerne Fouta – ein beiges Tuch, meist mit rot-orange-farbenem Streifen – ĂĽber ihrer Alltagskleidung. Männer tragen „Blousa“, einen schlichten grau-grĂĽnen Kaftan, und Schlapfen – schleka auf tunesisch.
Es gibt keine Ampel, kein Einkaufszentrum, keinen Supermarkt. Lediglich ein paar Cafés, Greissler, Fleischer, Bäcker, Gemüsehändler und die Quincaillerie – das Geschäft in dem es vom Topf, Nagel, Plastiktischtücher bis zur Wandfarbe, fast alles gibt.
Wir sitzen also im CafĂ©, gleich bei der municipalitĂ©, dem Gemeindeamt. Maoui sieht mich ernst an und meint in einem Gemisch aus Französisch, Englisch und ein paar Brocken Deutsch: „Merkst Du, dass wir hier in dieses CafĂ© NICHT reinpassen? Also, wenn Du hier länger bleiben möchtest, gibt es Regeln, die Du, als meine Freundin, einhalten musst!“. Ich schau ihn mit groĂźen Augen, erstaunt an. „Willst du hierbleiben?“ – ich nicke. „Dann musst du folgendes machen: Geh in KEIN MännercafĂ© – so wie wir gerade. Da gehen nur Männer hin. In Tunis gibt es auch gemischte CafĂ©s, da wäre das ok. Aber nicht auf Djerba.“ Upps – da war ich wohl in einen Fettnapf getreten.
„Kleide dich unauffällig – keine kurzen Röcke, keine ärmellosen T-Shirts, kein tiefes DekolletĂ©, kein Bikini am öffentlichen Strand – nur am Hotelstrand, sonst nur Badeanzug!“ Na Hilfe, das wurde ja immer ärger. „Treffe dich mit keinem anderen Mann, wenn ich nicht davon weiĂź, jemanden mitschicke oder ich dabei bin“. Na klar, das war der berĂĽhmte Macho-Trip der Araber… wie im Bilderbuch.
Ich fühlte mich miserabel. Der Café crème hatte auf einmal einen sehr bitteren Beigeschmack bekommen. Ob ich das durchhalten will und werde? Hatte ich einen Fehler gemacht als ich vor 1 Monat mein neues Leben hier mit meiner Tochter gestartet hatte? Sind die Welten doch zu unterschiedlich?
17 Jahre später kann ich die Antwort geben: Ich danke meinem Ex-Mann Maoui, dass er mir damals all diese Regeln ganz am Anfang aufgelistet hatte. Es war ja meine Entscheidung, ob ich mich daran halte oder nicht. Jedenfalls kann ich sagen, dass ich perfekt integriert, geschätzt, geachtet, respektiert und lieb gehabt, in Tunesien gelebt habe.
Wohl auch deswegen, weil ich gewusst habe, wo die Grenzen sind.
© die_sage_der_gudrun 2019-12-25