von Michael Pommer
Ein „Mical Sir, please come“ ist vom Ende der Treppe zu hören. Vor den versammelten Kids bin ich gerade bemüht, alle möglichen Tiere in Form ihrer Bewegungen und Laute nachzuahmen. Der Panda erweist sich dabei als unerwartet hohe Hürde. In meinem Kopf ist einerseits eine Erinnerung aus dem Zoo, bei der ich lernte, dass diese Bären den ganzen Tag faulenzen – und andererseits der Film Kung Fu Panda. Diese Kombination hemmt momentan meine Kreativität, und so kommt der Ruf nach mir sehr gelegen. „What’s up, Bomo?“ „Please come, Mical Sir!“. Ich blicke auf die Uhr. „Class is almost finished! In 15 minutes, okay?“ Erneut bittet sie mich sofort zu kommen. Jetzt stimme ich zu, unterbreche den Unterricht und begebe mich Richtung Treppe. Am Weg hinauf kommt mir seitlich der Treppe eine kleine Wasserspur entgegen. „Endlich. Das Wasser ist zurück“, urteile ich mit vorschneller Begeisterung.
„Mical Sir. Your Room…“ „Yeah?“ „Your room is a swimming pool.“ Mein Atem stockt. In der Sekunde schießt es mir ein: Das Wasser! Ja, es ist zurück. Ich habe in den letzten Tagen ein ums andere Mal vergeblich den Hahn in meinem Bad getestet und muss übersehen haben, ihn abzudrehen. Ich sprinte Richtung Zimmer. Was anfangs eine kleine Spur war, wird, je näher ich komme, immer mehr zu einem Fluss. Und dann sehe ich es. Das Ende der Regenrinne vor meinem Zimmer im 1. Stock bildet den Anfang eines Wasserfalls.
Panik entsteht nach vier Monaten im Kloster dennoch nicht. Ich bleibe gelassen. Fehler machen – Fehler beheben – daraus lernen.Bei der Tür angekommen, erwartet mich tatsächlich ein kleiner Swimming Pool. Schnell räume ich erstmal das Zimmer leer und beginne mit Kübeln das Wasser loszuwerden. Nach einiger Zeit leisten mir zwei Nonnen Hilfe und ohne zu verzagen schöpfen und schöpfen wir. Bis sich auch der letzte Tropfen Wasser aus meinem Zimmer verabschiedet. Es dauert zwar, doch die Stimmung bleibt stets positiv.
Mein Fauxpas spricht sich währenddessen in Windeseile im gesamten Kloster herum. Immer wieder kommen schaulustige Nonnen und wagen neugierige Blicke ins Zimmer. Zu meiner Verwunderung scheinen sie einzig amüsiert über den Anblick. Keine Spur eines Vorwurfs ist zu erkennen.
Als ich mich am selben Abend in meinem Bett wiederfinde, ist von diesem Vorfall kaum mehr etwas zu erkennen. Nur die Luftfeuchtigkeit und der Geruch im Raum erinnern noch daran. Alles, was behoben werden konnte, wurde akribisch behoben. “Es ist wirklich erstaunlich“, sinniere ich vor mich hin. „Kein einziges Mal fühlte ich mich heute von außen mit Vorwürfen konfrontiert. Aus alter Gewohnheit habe ich erwartet, auf Zurechtweisung zu treffen. Doch diese Zurechtweisung kam nicht. Zu keinem Zeitpunkt. Jeder macht Fehler … und man vertraut mir hier. Dieses Vertrauen gibt mir zusätzliche Kraft meine Fehler selbst auszubügeln.” Ich schwenke meinen Blick ein letztes Mal durchs Zimmer. “Und zwar bestmöglich.”
© Michael Pommer 2021-05-16