Feierabend

Pia Holter

von Pia Holter

Story

Mein Sohn hat eine fast schon ungebührlich positive Einstellung zum Arbeiten. Ich versuche seit längerem ihm beizubringen, dass er sagt: “Mama, bitte komm spielen.” anstatt “Mama, bitte komm arbeiteeen.” Wenn Oma am Telefon fragt: “Na, E. was machst du gerade?”, sagt er mit Vorliebe und voller kindlicher Ernsthaftigkeit: “Arbeiten. Immer arbeiten.”

An sich freue ich mich ja über seinen Eifer. Mein Mann und ich wünschen uns natürlich, dass er eines Tages einen Job findet, der ihn so ausfüllt, dass er sagen kann: “Wer sein Hobby zum Beruf macht, muss nie wieder arbeiten.” Und irgendwie stimmt es ja. Türme bauen, Schüttspiele in der Sensorikwanne, Bücher lesen (vorgelesen bekommen) – er hat einiges zu tun.

Sein aktuelles Lieblingsbuch ist ein Buch über Baustellenfahrzeuge. Ich gebe zu, die feministische Erziehung meiner Söhne habe ich mir auch anders vorgestellt. Aber was soll ich sagen, wenn er auf das Buch zeigt und begeistert keucht: “Bagggeeer!“ Wenigstens stellt das Buch die Wirklichkeit dar. Bauarbeiter Anatol bedient den Betonmischer. Naja, wieder eine andere Baustelle.

Jedenfalls muss ich das Buch regelmäßig als Gute-Nacht-Lektüre vorlesen. Es ist ja auch eine ideale Gute-Nacht-Geschichte. Auf der letzten Seite machen die Arbeiter “Feierabend” und laden den Radlader auf den Tieflader. E. kann beruhigt einschlafen: “Gute Nacht, Bagger.”

Heute haben wir wieder einmal Baustelle gespielt (aka gearbeitet). E. sägt mit Inbrunst mit einem kleinen Kindermesser: “Das ist eine Motorrrsäge. Rrrritsche Rrratsche.” Dann setzt er sich hin und legt die “Motorsäge” weg. Er schaut mich traurig an. “Ich sitz da.”, sagt er. Mein Herz springt ein bisschen. Oh, mein kleiner Engel. Was macht dich nur so traurig? Und E. so: “Mama, ich mach leider Feierabend.”

© Pia Holter 2021-02-03

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