Fellinis Casanova

Gunny Catell

von Gunny Catell

Story
Venedig 1976

Mein Begehr, Fellinis Casanova, als Jugendlicher 1976 in den Kinos zu erleben, war unermesslich! Was hatte dieser Mythos an sich, dass er mir so attraktiv erschien? Erstens ging dem Film die Fama voraus, der sensationellste Kunstfilm zu sein. Das kann ich bis heute bestätigen. Zweitens dachte ich, mit diesem Opus die ultimativen Geheimnisse von Liebe und Sexualität zu erfahren, die ich noch nicht kannte. Nun, viel Neues erfuhr ich nicht. Und drittens glaubte ich, mit diesem Artefakt das Wesen von Kunst in mir entdecken zu können. Und tatsächlich, ab dem Film wusste ich, es gibt nichts Schöneres, als Kunst zu erschaffen. Doch was macht Kunst aus? Ich erfuhr, dass Kunst im Kern die Auseinandersetzung mit den eigenen Dämonen und Unzulänglichkeiten ist. Du willst immer das perfekte Werk schaffen, das letzte aus dir herausholen, das Schönste oder das Hässlichste kreieren, und du schaffst es nie. Du willst frei sein, doch du wirst es nie. Du bleibst in deiner Abhängigkeit gefangen, es immer wieder probieren zu mĂĽssen – wie Casanova. Aber nie wird er wahre Befriedigung finden.      

Gleich zu Beginn verführt uns die Fanfarenmusik von Nino Rota in ein magisches Unterwasserreich aus kristallenen Klängen. Beim Karneval in Venedig taucht in einer prunkvollen Zeremonie der riesige Kopf der Göttin Luna aus der Tiefe des Canale Grande auf. Die Masken tanzen und ein pompöses Feuerwerk erhellt die feierliche Nacht in der Lagunenstadt. Doch da passiert es. Die Göttin der Liebe geht wieder unter. Und dieses Unglück begleitet den ganzen Film und das Schicksal seines leidenschaftlichen Helden, der auf einer einsamen Insel auf seine nächste Liebe warten muss. Von nun an beobachtet eine goldene Eule das Liebesspiel des Getriebenen. Grandiose Bildgemälde auf offener See, bevor er ins Gefängnis gesteckt wird. Er kommt frei, aber nur um wieder vom Sex gefesselt zu werden. Er hilft auch einer reichen Greisin, als Mann wiedergeboren zu werden. Dazu verabreicht er ihr das Parfum von Venus und beide kommen zu einem Fake-Orgasmus. Grandios ist die Szene in der Dresdner Oper mit den gigantischen brennenden Lüstern, wo Casanova seiner uralten Mutter begegnet oder in Orgelkanonaden am Hof sexueller Ausschweifungen eine mechanische Puppe anmacht und nur mehr mit ihr sexuelle Erfüllung finden kann. Alle verlassen ihn, nur die am Eis tanzende Puppe bliebt ihm. Bitter.

„Ein Liebhaber mit eiskalten Sperma“, so beschrieb Fellini seinen Casanova. Eine wahre Orgie fĂĽr Augen und Ohren feiern die KostĂĽme und Rotas Musik. Casanova blickt in den Spiegel und erkennt er, dass seine Rolle als ewiger Liebhaber nur eine Maske ist – eine, die er selbst geschaffen hat, um der Einsamkeit zu entfliehen. Fellini zeigt einen Mann, den König der VerfĂĽhrung, der die Oberflächlichkeit seines Lebens erkennt. Doch der Versuch, sich selbst zu finden, bleibt ebenso illusorisch wie seine zahlreichen VerfĂĽhrungen. Casanova ist der König der Masken, der ewige Wanderer auf der Suche nach einem wahren Moment der Freiheit, den er nie finden wird. Er erkennt, er hatte so viele Gesichter getragen, dass ihm sein eigenes verloren ging. Aber wer bin ich, wenn der Maskenball zu Ende ist? Der Ball endet nie fĂĽr mich. Das Leben ist eine lebenslange Lehre. Es ist Fellinis grimmigstes Werk. Berauschend verfremdet. Abartig. Ein Genuss!


© Gunny Catell 2025-02-17

Genres
Humor& Satire
Stimmung
Abenteuerlich, Emotional, Komisch, Unbeschwert, Mysteriös
Hashtags