von SonjaUrbanek
Einst hatte ich einen Chef, der eine Schwäche für junge Damen hatte. Immer wieder lud er eine seiner Angestellten zu einer Unterredung in sein Büro, was der guten Frau, sofern sich die beiden einig wurden, schon bald darauf eine Menge gut bezahlter Überstunden bescherte.
So kam es, dass auch meine Kollegin Iris eines Tages einen Anruf erhielt: Der Chef wolle sie tags darauf sprechen. Bände sprach sofort ihr Gesicht. Mit ihren großen, verschlafen wirkenden Augen, ihrer rauchigen Stimme und ihrem eleganten Äußeren wirkte sie wie eine Femme fatale. Das wusste sie. Wie sollte sie sich also kleiden und verhalten, um sein Ansinnen abzuwehren, ohne ihn zu brüskieren?
Iris entschied sich für das Outfit einer Business-Frau, ganz wie es ihrem Wesen entsprach. Was ihr dabei aber leider entging, war ihr einladendes Dekolleté. Das elegant-schwarze Oberteil hatte einen kecken V-Ausschnitt, der mit verspielt über Kreuz gelegten Schnürchen zusammengehalten wurde. Wem nach Erotik zumute war, der konnte ja gar nicht anders, als sich vorzustellen, was eigentlich passieren würde, würde er kurz an einem der Schnürchen ziehen…
Kurzum: Als Iris von der Unterredung zurückkam, war sie fuchsteufelswild. Dieses Ferkel habe ihr die ganze Zeit nur in den Ausschnitt geschaut. ‚Das musste ja so kommen‘, dachte ich mir, wobei ich mir ein schadenfrohes Grinsen verbiss.
Meine boshafte Freude aber währte nur kurz, denn bald darauf klingelte auch mein Telefon! Der Chef! Iris grinste. Was tun?
Da hieß es strategisch planen. Grübelnd stand ich des Abends vor meinem Kleiderschrank. Ein Kleid, das meine Mutter geschneidert hatte, schien mir geeignet zu sein.
Es passte noch! Sehr gut! Der Spiegel zeigte folgendes Bild:
Einen dirndlartigen Zweiteiler mit grünem Karomuster, wobei in jedem Karo Grashalme und eine Vielzahl grün-weißer Blümchen zu sehen waren. Um die Taille spannte es ein wenig, was mir dralle Hüften und eine ausladende Hinteransicht verlieh. Das Oberteil war mit zwar weitem Ausschnitt, der aber meine Oberweite nicht in Szene setzte, ein wenig unspektakuär. Ich zurrte also meinen BH etwas enger. Jetzt wogte es da oben wie bei den Wirtinnen am Oktoberfest. Dazu dunkelgrüne, mit einer weißen Borte umrankte Schühchen, weiße Stutzen mit eingestickten Herzerln und einen zart-goldenen Anhänger mit dem Bildnis der Mutter Gottes drauf.
Meine Kollegin wunderte sich ein wenig, als ich am nächsten Morgen so aufkreuzte. Ich lächelte nur.
Als der Chef seine Bürotür öffnete, um mich hineinzugeleiten, erlosch binnen Sekunden die freudige Erwartung in seinen Augen. Ich hatte mich nicht getäuscht: Wenn es etwas gab, was ihn augenblicklich und unwiderruflich abtörnte, dann war es der Frauentyp Landpomeranze. Und genau eine solche stand gerade vor ihm.
Er wusste kaum noch, unter welchem beruflichen Vorwand er mich zu sich gebeten hatte. Nach kaum fünf Minuten war das Gespräch beendet, und ich blieb fortan unbehelligt. So machte das Arbeiten Spaß.
© SonjaUrbanek 2020-07-20