von Lea Amend
Meine Mutter und ich saßen im Esszimmer. Der Duft von angebrannten Brötchen hing im Raum. Stumm beschmierten wir die verkohlten Brötchenhälften mit Butter. Ich biss hinein. Es schmeckte widerlich. Die Stille war erdrückend. Ich traute mich jedoch nicht aufzusehen. Kaum hatte ich ein zweites Mal abgebissen, kam Ferkelchen herein. Seit ihrer Geburt nannte ich sie so aufgrund ihrer Begabung ihre Kleider zu beschmieren. Sie trug einen blauen Turban. Ich erkannte, dass er aus dem Seidenschal unserer Mutter gewickelt war. Ihr Gesicht hatte sie sich mit Filzstiften angemalt und unter ihrem mit Tomatensoße beschmutzten T-Shirt befand sich, um ihr Bein geknotet, eine Strumpfhose. Sie lachte und wedelte mit ihren Armen. Aus dem Augenwinkel blickte ich zu meiner Mutter. Ihr ernster Blick war weiterhin starr auf den Teller gerichtet. Ich stand auf, umarmte Ferkelchen und trug sie in unser Zimmer.Ich klopfte gegen die Tür. Ferkelchen lachte. Meine Mutter zuckte nicht einmal mit der Wimper. Schnell streifte ich mir einen dickeren Pulli über. Ohne zu überlegen, band ich Ferkelchen die alte Wolldecke um, die auf ihrem Bett lag. „Du bist heute eine Wüstenprinzessin“, flüsterte ich ihr ins Ohr. Als wir hinaustraten, fiel die Tür krachend zu. Der Pulli, den ich angezogen hatte, war viel zu warm. Achtlos ließ ich ihn in unserem winzigen Vorgarten liegen. Die Blumen waren verwelkt und auf dem Boden lag braunes Laub. Ich nahm Ferkelchen huckepack und rannte los. Ferkelchens Kichern drang an mein Ohr. Mein Haargummi fiel aus meinen Haaren und sie wehten wild umher. Sicher kitzelten sie jetzt Ferkelchens Nasenspitze. Ich spürte, wie auch ich lächeln musste. Ich wollte diesen Moment einfrieren. Auf Pause drücken.
Wir gingen weiter und erreichten wir den Spielplatz. Er war von hohen Zäunen umgeben. „Sicherheit für die Kinder“, las ich auf einem Schild. Ich betrat ihn. Mit meinen Füßen blieb ich im Matsch stecken, der sich auf dem erdigen Untergrund gebildet hatte. Mein Rücken tat weh. Das Waten war anstrengend, aber ich schaffte es. Der Spielplatz war leer. Wir gingen zu den Schaukeln. Vorsichtig setzte ich Ferkelchen ab. Ich schubste sie an. Glucksend erhob sie sich. Ich konnte mich schon lange selber in die Lüfte erheben.
Es fing an zu regnen. Nun musste es auch vor unserem Haus regnen. Meine Mutter müsste unsere Gartenmöbel abdecken. Ich wusste, dass sie es nicht schaffen würde. Nicht mehr seit Ferkelchen da war. Ferkelchen konnte nichts dafür! Ich half meiner Mutter. Immer. Aber heute musste sie es alleine schaffen, denn auch Ferkelchen und ich mussten es alleine schaffen. Wir sprangen von den Schaukeln und rannten. Ich musste Ferkelchen am Arm festhalten, damit sie nicht weglief. Ich sah ein Piratenschiff, unter das wir uns stellten. Wir wärmten uns. Ich schaute tief in Ferkelchens kindliche Augen. Obwohl sie neun war, war alles an ihr kindlich. Ihr Blick lag auf mir und symbolisierte: Auch diese dunklen Wolken würden bald vorbeiziehen.
© Lea Amend 2022-12-20